Lord Garrows widerspenstige Braut
Poststation hatte James auch die Briefe geholt, um dem Reiter den wöchentlichen Vierzig-Meilen-Ritt zu ersparen. Mittlerweile waren einige Nachrichten des Earls, die an ihn und Susanna gemeinsam adressiert waren, eingetroffen. Er hatte sie noch nicht geöffnet. Er hoffte, Susanna damit beweisen zu können, dass er sie als eigenständige Person wahrnahm.
Er war selbst verwundert über seine Ungeduld, Susanna wiederzusehen. Warum, verstand er selber nicht. Vermutlich war er neugierig, was sie alles in seiner Abwesenheit angerichtet hatte.
Früh am Abend desselben Tages erreichte er endlich Drevers. Fergus rannte dem Karren barfuss entgegen. Sein Kilt flatterte im Wind. "Lord James! Lord James!" rief er fröhlich. James überlegte, wie lange es her war, dass jemand in Drevers so unbeschwert geklungen hatte.
"Fergus! Wie geht es Mylady?"
"Gut! Sie hat eine Überraschung für Sie vorbereitet!"
Was denn jetzt schon wieder? James wagte nicht zu fragen. Er sah hinüber zum Herrenhaus. Alle Fenster im Ballsaal waren erleuchtet. "Haben wir Gäste?" fragte er überrascht und zügelte sein Pferd.
"Nein. Die Frauen aus dem Dorf sind da. Lady Susanna hält Hof."
"Hof?"
"So nennt man das doch, nicht?" Fragend sah Fergus ihn an.
James stieg ab. "Königinnen halten Hof, Fergus. Eine Lady empfängt. Aber jetzt solltest du den Burschen da hinten zeigen, wo die Lagerräume sind. Und dann wäre ich dir dankbar, wenn du dich um die Ochsen kümmern könntest. Sie haben eine harte Woche hinter sich. Und sie müssen in einer Woche zurück nach Beauly."
Eilig stürmte er die Eingangstreppe hinauf und stand unentschlossen vor den weiß lackierten Flügeltüren im zweiten Stock, aus dem Stimmengewirr drang.
"Ihr müsst nicht jedes Jahr ein Kind in die Welt setzen, wenn ihr nicht wollt", sagte Susanna gerade. Sie hob die Stimme und fuhr fort: "Eine Frau, die zu viele Kinder gebiert, wird krank und stirbt. Und wer kümmert sich dann um die Kinder der Frau, wenn sie im Grab liegt?"
"Aber Mylady, es ist Gott, der uns die Kinder schenkt. Was können wir dagegen tun? Wir kriegen sie eben."
"Nein, Florrie. Kinder müssen nicht sein. Dein Mann entscheidet, wann du schwanger wirst. Wenn ihr in Abstinenz lebt, dann könnt ihr auch nicht schwanger werden. Das weiß doch sicher jede von euch." Susanna klang angestrengt. Offensichtlich verstanden sie die Frauen trotz der einfachen Worte nicht, in denen sie mit ihnen sprach.
"Abstinenz?" rief eine der Frauen empört. "Also wirklich, Lady Susanna, in meinem Bett werde ich keine heidnischen Dinge tun! Und auch sonst niemand! Wir sind gottesfürchtige Christinnen. Wagen Sie nicht, dieses Abstinenz -Dings zu beschreiben! Wir wollen so etwas gar nicht hören."
James musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut heraus zu lachen. Eigentlich hatte er kein Recht, zuzuhören. Aber er wüsste nur zu gern, wie Susanna sich aus diesem Missverständnis herauswinden konnte.
Offenbar verlor sie allmählich die Geduld. Mit lauter Stimme rief sie: "So ein Unsinn! Ihr habt mich überhaupt nicht verstanden! Abstinenz ist nicht verwerflich. Abstinenz heißt einfach … einfach nichts tun. Sagt eurem Mann, dass ihr nicht wollt … wenigstens eine Zeit lang, nachdem ihr ein Kind auf die Welt gebracht habt …"
"Na, ich wusste doch, dass daran etwas faul ist", unterbrach eine der Frauen sie. "Wir werden uns unseren Männern nicht verweigern, Mylady. Was ist denn daran falsch, wenn wir Kinder kriegen? Ich habe sechs zur Welt gebracht! Und – sehe ich aus, als würde ich bald im Grab liegen?"
Alle begannen zu lachen. James wusste, warum: Die Frau, die das gesagt hatte, war noch schwerer als er selbst und hatte eine Konstitution wie ein Pferd.
James marschierte wieder nach unten. Er hatte genug gehört. Wenn Susanna dachte, dass sie sich in das Eheleben der Frauen hier einmischen konnte, dann würde sie ihr blaues Wunder erleben. Die Frauen, mit denen sie es hier zu tun hatte, hatten ihren eigenen Kopf. Sie ließen sich von ihren Ehemännern nichts sagen – warum sollten sie sich dann von Susanna belehren lassen? Selbst wenn es sich um die Herrin von Drevers handelte …
Das Traurige ist, dass Susanna bis zu einem bestimmten Punkt Recht hat, dachte James. Die Kindersterblichkeit war in der Gegend erschreckend hoch. Wenn er es recht überlegte, dann starb fast jede dritte Frau während oder unmittelbar nach der Geburt. Eigentlich erstaunlich, dass die Vorstellung, Kinder zu gebären, die Frauen dort
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