Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
Straßen staubig. Papierfetzen wehten über das Pflaster. In den Bussen war es zum Ersticken schwül. In dem Schnellimbiß, wo Parker einen eiligen Lunch zu sich nahm, war die Luft schwer von den Düften gebackener Scholle und brodelnder Teemaschinen. Er wußte, daß Wimsey jetzt in seinem Club speiste, bevor er mit Freddy Arbuthnot losfuhr, um sich da oder dort die Neuseeländer anzusehen. Er hatte ihn – ein Traumbild in Hellgrau – gemächlich die Pall Mall entlangspazieren sehen. Hol der Teufel Wimsey! Warum hatte er Miss Dawson nicht friedlich in ihrem Grab ruhen lassen können? Da lag sie und tat niemandem etwas zuleide – bis Wimsey unbedingt seine Nase in ihre Angelegenheiten stecken und die Ermittlungen an einen Punkt bringen mußte, wo Parker einfach nicht mehr anders konnte, als offiziell Kenntnis davon zu nehmen. Ach ja! Er würde wohl weiter diesen teuflischen Rechtsanwälten nachrennen müssen.
Er ging dabei nach einem eigenen System vor, das sich als fruchtbringend erweisen mochte oder auch nicht. Er hatte sich die Sache mit dem neuen Erbrecht noch einmal durch den Kopf gehen lassen und war zu dem Schluß gekommen, daß Miss Whittaker, falls sie auf dessen Auswirkungen für ihre eigenen Erberwartungen aufmerksam geworden war, sich sofort um juristischen Rat bemüht haben würde.
Dabei hatte sie bestimmt zuerst daran gedacht, einen Anwalt in Leahampton aufzusuchen, und sofern sie nicht von vornherein ein unsauberes Spiel im Sinn gehabt hatte, konnte nichts sie davon abgehalten haben. Infolgedessen war Parker als erstes nach Leahampton gefahren und hatte die drei dort ansässigen Rechtsanwaltspraxen besucht. Alle drei Anwälte konnten ihm mit Bestimmtheit versichern, daß eine solche Anfrage im Jahr 1925 nicht an sie herangetragen worden war, weder von Miss Whittaker noch sonst jemandem. Der Seniorpartner des Anwaltsbüros Hodgson & Hodgson, dem Miss Dawson nach ihrem Streit mit Mr. Probyn die Wahrnehmung ihrer Interessen übertragen hatte, sah Parker sogar ein wenig merkwürdig an, als er dessen Frage vernahm.
»Ich versichere Ihnen, Inspektor«, sagte er, »wenn das Problem mir in dieser Weise zur Kenntnis gebracht worden wäre, hätte ich mich im Licht der darauffolgenden Ereignisse ganz bestimmt daran erinnert.«
»Die Frage ist Ihnen wohl nie in den Sinn gekommen«, sagte Parker, »als Sie vor der Aufgabe standen, die Erbmasse zu ordnen und Miss Whittakers Ansprüche zu prüfen?«
»Das kann ich nicht gut behaupten. Wäre es zu irgendeinem Augenblick um die Suche nach dem nächsten Anverwandten gegangen, so wäre ich vielleicht – ich sage nicht bestimmt – darauf gestoßen. Aber ich hatte von Mr. Probyn einen sehr klaren Familienstammbaum erhalten, der Sterbefall ereignete sich fast zwei Monate vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, und so liefen die Formalitäten alle mehr oder weniger automatisch ab. Ich muß zugeben, daß ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht an das neue Gesetz gedacht habe.«
Parker sagte, das überrasche ihn nicht, und er beehrte Mr. Hodgson mit Mr. Towkingtons gelehrter Ansicht zu dieser Frage, was Mr. Hodgson sehr interessant fand. Und das war alles, was er in Leahampton erreichen konnte, außer, daß er Miss Climpson in arge Aufregung versetzte, indem er sie besuchte und sich über ihre Unterhaltung mit Vera Findlater berichten ließ. Miss Climpson begleitete ihn zum Bahnhof, da sie hoffte, sie könnten Miss Whittaker begegnen – »es würde Sie bestimmt sehr interessieren, sie zu sehen « –, aber sie hatten Pech. Alles in allem, dachte Parker, ist das vielleicht ganz gut so. Denn so gern er einerseits Miss Whittaker einmal gesehen hätte, so wenig war er andererseits darauf versessen, von ihr gesehen zu werden, schon gar nicht in Miss Climpsons Begleitung. »Übrigens«, sagte er zu Miss Climpson, »Sie sollten sich für Mrs. Budge eine Erklärung für mein Erscheinen ausdenken, damit sie nicht neugierig wird.«
»Aber das habe ich schon«, entgegnete Miss Climpson mit einem gewinnenden Kichern. »Als Mrs. Budge mir melden kam, da sei ein Mr. Parker für mich, habe ich natürlich sofort begriffen, daß sie nicht wissen darf, wer Sie wirklich sind, und da habe ich ganz schnell zu ihr gesagt: ›Mr. Parker! Ach, das muß mein Neffe Adolphus sein.‹ Es stört Sie doch nicht, Adolphus zu heißen, nicht wahr? Komisch, aber das war der einzige Name, der mir im Augenblick in den Sinn kam. Ich begreife gar nicht, warum, denn ich habe nie einen Adolphus
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