Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
ausgenommen möge selbstverständlich der von Ihnen erwähnte Polizeibeamte sein, der mit dieser Angelegenheit befaßt ist.
Sie möchten wissen, 1. ob Miss Agatha Dawson wußte, daß es auf Grund der Bestimmungen des neuen Erbrechts notwendig hätte sein können, eine testamentarische Verfügung zu erlassen, um sicherzustellen, daß ihre Großnichte, Miss Mary Whittaker, ihr persönliches Eigentum erbte; 2. ob ich sie je zur Abfassung einer solchen testamentarischen Verfügung gedrängt habe und wie ihre Antwort darauf war; 3. ob ich Miss Whittaker je darüber aufgeklärt habe, in welche Situation sie geraten könne, falls ihre Großtante nach dem 31. Dezember 1925 stürbe, ohne ein Testament gemacht zu haben.
Im Verlaufe des Frühjahres 1925 wurde ich von einem Kollegen auf die Zweideutigkeit der Formulierung gewisser Absätze in dem neuen Gesetz aufmerksam gemacht, insbesondere auf das Fehlen einer genauen Interpretation des Wortes ›Nachkommenschaft‹. Ich habe daraufhin sofort die Unterlagen meiner verschiedenen Klienten durchgesehen und mich davon überzeugt, ob auch in jedem Falle die notwendigen Vorkehrungen getroffen waren, um bei einem Ableben ohne Abfassung eines Testamentes jegliche Mißverständnisse und Rechtsstreite zu vermeiden. Ich sah sofort, daß es einzig und allein von der Interpretation der fraglichen Absätze abhing, ob Miss Whittaker Miss Dawson beerben konnte. Ich kannte Miss Dawsons extreme Abneigung gegenüber einem Testament, beruhend auf einer abergläubischen Todesfurcht, der wir in unserem Beruf so oft begegnen. Dennoch hielt ich es für meine Pflicht, sie auf die Problematik hinzuweisen und nach Kräften zu versuchen, sie zur Abfassung eines Testaments zu bewegen. Infolgedessen habe ich mich nach Leahampton begeben und ihr diese Angelegenheit erklärt. Das war um den 14. März – ich kann mich nicht ganz genau an das Datum erinnern.
Leider kam ich zu Miss Dawson in einem Augenblick, als ihr Widerstand gegen die verhaßte Idee, ein Testament zu machen, gerade am stärksten war. Ihr Arzt hatte ihr eben eröffnet, daß sie sich im Laufe der nächsten Wochen einer erneuten Operation unterziehen müsse, und da hätte ich keinen ungeeigneteren Zeitpunkt wählen können, um sie an die Möglichkeit ihres Ablebens zu erinnern. Sie wollte überhaupt nichts davon wissen und erklärte, es handle sich um eine Verschwörung, um sie während der Operation vor lauter Angst sterben zu lassen. Es scheint, als ob ihr überaus taktloser Hausarzt sie bereits anläßlich der vorausgegangenen Operation mit einem ähnlichen Rat erschreckt habe. Sie aber habe die erste Operation überstanden und gedenke auch die zweite zu überstehen, wenn nur die Leute sie nicht so ärgern und ängstigen wollten.
Natürlich hätte sich die ganze Angelegenheit von selbst erledigt, wenn sie wirklich bei der Operation gestorben wäre, und ein Testament wäre dann gar nicht notwendig gewesen. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß ich ja eben deshalb so auf die Abfassung eines Testaments drängte, weil ich voll mit ihrem Weiterleben bis ins nächste Jahr hinein rechnete, und ich erklärte ihr erneut die Bestimmungen des neuen Gesetzes so ausführlich ich konnte. Sie erwiderte, dann hätte ich erst recht nicht zu ihr zu kommen und sie mit dieser Sache zu belästigen brauchen. Es habe ja Zeit bis zur Verabschiedung des Gesetzes.
Natürlich hatte dieser alberne Arzt verboten, sie über die Art ihrer Krankheit aufzuklären – das machen sie immer so –, weshalb sie überzeugt war, daß die nächste Operation alles in Ordnung bringen und sie noch Jahre leben werde. Als ich auf meinem Standpunkt zu beharren wagte – mit der Begründung, wir Rechtskundigen zögen es stets vor, auf Sicherheit zu gehen –, wurde sie ausgesprochen böse und wies mich praktisch aus dem Haus. Wenige Tage später bekam ich einen Brief von ihr, in dem sie sich über meine Unverschämtheit beklagte und mir mitteilte, sie könne ihr Vertrauen nicht länger einem Menschen schenken, der sie so rücksichtslos und rüde behandle. Auf ihr Verlangen schickte ich alle ihre in meinem Gewahrsam befindlichen Unterlagen an Mr. Hodgson in Leahampton, und seit diesem Tage habe ich von keinem Mitglied der Familie mehr etwas gehört.
Damit wären Ihre Fragen Nummer eins und zwei beantwortet. Nun zur dritten: Ich habe es ganz gewiß nicht für angezeigt gehalten, Miss Whittaker darauf hinzuweisen, daß ihr Erbe davon abhängen könnte, ob ihre Großtante ein Testament
Weitere Kostenlose Bücher