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Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Titel: Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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schöne Brauen hatte, ziemlich gerade, und nicht viel Farbe im Gesicht. Sie war sommerlich gekleidet, aber sehr adrett. Ich glaube, man würde es ein besticktes Leinenkleid nennen – ich bin kein Experte in solchen Dingen –, und dazu hatte sie einen breiten weißen Hut aus Panama-Stroh auf.«
    »Sie scheinen sich sehr deutlich zu erinnern«, sagte Parker. »Stimmt; ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis; außerdem habe ich die Dame noch bei anderen Gelegenheiten gesehen, wie Sie gleich hören werden.
    Bei ihrem ersten Besuch erzählte sie mir – etwa wie Sie –, sie sei nur vorübergehend in London und ich sei ihr zufällig empfohlen worden. Ich sagte ihr, daß ich die Frage nicht gern aus dem Stegreif beantworten möchte. Sie erinnern sich vielleicht, das Gesetz hatte soeben erst die dritte und letzte Lesung passiert, und ich war noch keineswegs damit vertraut. Außerdem hatte ich schon beim ersten Überfliegen gesehen, daß es noch einige wichtige Fragen aufwerfen würde.
    Ich sagte der Dame also – sie hatte sich als Miss Grant vorgestellt –, daß ich ein Expertengutachten einholen möchte, bevor ich ihr da einen Rat gäbe, und fragte sie, ob sie am nächsten Tag wiederkommen könne. Sie sagte, das gehe, stand auf und bedankte sich, wobei sie mir die Hand reichte. Dabei fiel mir die recht sonderbare Narbe auf, die quer über alle ihre Fingerrücken verlief, fast als ob ihr irgendwann einmal ein scharfer Gegenstand ausgerutscht wäre. Das habe ich natürlich nur so ganz nebenbei bemerkt, aber es war mein Glück. Am nächsten Tag kam Miss Grant auch richtig wieder. Ich hatte inzwischen einen sehr kompetenten Kollegen aufgesucht und gab ihr den gleichen Rat, den ich vorhin Ihnen gegeben habe. Sie machte ein recht besorgtes Gesicht deswegen – oder eigentlich mehr verärgert als besorgt.
    ›Es erscheint einem doch ziemlich unfair‹, sagte sie, ›daß der Krone auf diese Weise das Geld einer Familie zufallen soll. Schließlich ist eine Großnichte doch noch eine ziemlich nahe Verwandte.‹
    Ich antwortete ihr, wenn die Großnichte Zeugen aufbieten könne, die bestätigten, daß die Verstorbene stets die Absicht gehabt habe, sie als Erbin ihres Vermögens einzusetzen, dann werde die Krone über die Erbmasse, zumindest aber über einen angemessenen Teil derselben, sehr wahrscheinlich nach den Wünschen der Verstorbenen verfügen. Es liege jedoch gänzlich im Ermessen des Gerichts, so zu verfahren, und falls es irgendwann einmal zu einem Streit oder Disput in dieser Angelegenheit gekommen sei, könnte der Richter dem Begehren der Großnichte weniger wohlwollend gegenüberstehen.
    ›Auf alle Fälle‹, fügte ich hinzu, ›kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob eine Großnichte nach dem neuen Gesetz von der Erbfolge ausgeschlossen ist – meines Wissens könnte das lediglich der Fall sein. Aber es sind ja noch sechs Monate bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, und bis dahin kann vieles geschehen.‹
    ›Sie meinen, Tantchen könnte sterben?‹ meinte sie. ›Aber so schwerkrank ist sie eigentlich gar nicht – nur etwas wirr im Kopf, wie die Schwester es nennt.‹
    Sie ist dann jedenfalls gegangen, nachdem sie mir mein Honorar bezahlt hatte, und mir war aufgefallen, daß aus der ›Großtante der Freundin‹ plötzlich ›Tantchen‹ geworden war, woraus ich schloß, daß meine Klientin ein gewisses persönliches Interesse an dem Fall haben mußte.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Parker. »Wann haben Sie die Dame wiedergesehen?«
    »Es ist merkwürdig, aber im Dezember darauf bin ich ihr wieder begegnet. Ich wollte in einem Lokal in Soho gerade rasch etwas zu Abend essen, um danach ins Theater zu gehen. Das kleine Lokal, das ich für gewöhnlich aufsuche, war recht voll, und ich mußte an einem Tisch Platz nehmen, an dem schon eine Dame saß. Ich stellte die übliche Frage, ob der Platz noch frei sei und so, da sah sie plötzlich auf und ich erkannte prompt meine Klientin.
    ›Nanu, guten Abend, Miss Grant‹, sagte ich.
    ›Entschuldigung‹, antwortete sie steif, ›aber ich glaube, Sie verwechseln mich.‹
    ›Entschuldigen Sie ‹, sagte ich noch steifer, ›aber mein Name ist Trigg, und Sie waren vergangenen Juni zu einer Beratung bei mir in der Bedford Row. Wenn ich aber störe, bitte ich um Verzeihung und werde mich zurückziehen.‹
    Da lächelte sie und meinte: ›Tut mir leid, ich hatte Sie im ersten Augenblick nicht erkannt.‹
    Ich durfte also an ihrem Tisch Platz nehmen.
    Um eine

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