Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
sind nach London gekommen, um eine Großtante meiner Frau zu besuchen, der es sehr schlecht geht. Genauer gesagt, sie wird nicht mehr lange leben.
Nun ist es so, daß die alte Dame meiner Frau immer sehr zugetan war, verstehen Sie, und es war immer sozusagen ausgemacht, daß meine Frau sie einmal beerben sollte. Es handelt sich um ein recht ansehnliches Sümmchen, und wir haben uns schon – ich will nicht sagen, darauf gefreut, aber doch ein wenig darauf verlassen, uns später einmal damit zur Ruhe zu setzen. Sie verstehen das. Andere lebende Verwandte gibt es nicht, und so haben wir uns, obwohl die Tante oft davon gesprochen hat, ein Testament zu machen, nie so richtige Sorgen gemacht, weil wir glaubten, meine Frau werde ganz selbstverständlich alles bekommen, was da war. Nun haben wir aber gestern mit einem Freund darüber gesprochen, der uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt hat, indem er meinte, es gebe da ein neues Gesetz, und wenn die Großtante meiner Frau kein Testament mache, bekämen wir überhaupt nichts. Ich glaube, er hat gesagt, dann falle alles an die Krone. Ich hab mir gedacht, das kann doch nicht sein, und das habe ich auch gesagt, aber meine Frau ist doch ein bißchen nervös geworden – wir müssen ja auch an die Kinder denken, nicht wahr? – und hat mich bedrängt, den Rat eines Juristen einzuholen, denn ihre Großtante kann jeden Augenblick sterben, und wir wissen nicht, ob ein Testament vorhanden ist oder nicht. Also, wie ist die rechtliche Stellung einer Großnichte nach dem neuen Gesetz?«
»Diese Frage ist nicht eindeutig geregelt«, sagte Mr. Trigg, »aber ich würde Ihnen dringend raten, festzustellen, ob ein Testament vorhanden ist, und wenn nicht, dafür zu sorgen, daß so schnell wie möglich eins gemacht wird, sofern die Erblasserin dazu noch in der Lage ist. Ansonsten besteht meiner Ansicht nach die Gefahr, daß Ihre Frau ihr Erbe verliert.«
»Sie scheinen mit dem Problem ja gut vertraut zu sein«, meinte Parker lächelnd. »Ich nehme an, daß Sie danach ziemlich oft gefragt werden, seit das neue Gesetz da ist?«
»Ich würde nicht sagen oft. Es kommt verhältnismäßig selten vor, daß eine Großnichte als nächste Anverwandte zurückbleibt.«
»So? Na ja, man sollte es meinen. Können Sie sich erinnern, ob Ihnen diese Frage schon einmal im Sommer 1925 gestellt worden ist, Mr. Trigg?«
Ein sonderbarer Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Anwalts – man konnte es fast für Erschrecken halten.
»Wie kommen Sie zu dieser Frage?«
»Sie brauchen keine Hemmungen haben, mir zu antworten«, sagte Parker, indem er seinen Dienstausweis zückte.
»Ich bin Kriminalbeamter und habe gute Gründe für diese Frage. Ich habe Ihnen das rechtliche Problem zunächst nur als mein eigenes dargelegt, um zuerst einmal Ihre sachkundige Meinung zu hören.«
»Ich verstehe. Nun gut, Inspektor, in diesem Falle darf ich es Ihnen ja wohl erzählen. Es stimmt, die Frage ist im Juni 1925 an mich gerichtet worden.«
»Können Sie sich an die näheren Umstände erinnern?«
»Sehr genau. Ich werde sie so leicht nicht vergessen – oder vielmehr das, was darauf folgte.«
»Das hört sich interessant an. Würden Sie mir die Geschichte mit Ihren Worten erzählen, mit allen Details, an die Sie sich erinnern?«
»Gern. Nur einen Augenblick.« Mr. Trigg steckte den Kopf durch die Tür zum Vorzimmer. »Badcock, ich bin mit Mr. Parker beschäftigt und für niemanden zu sprechen. So, Mr. Parker, ich stehe zu Ihren Diensten. Rauchen Sie?«
Parker nahm die Einladung an und entzündete seine gut eingerauchte Bruyère, während Mr. Trigg, hastig eine Zigarette nach der anderen rauchend, ihm seine bemerkenswerte Geschichte erzählte.
18
Ein Londoner Anwalt berichtet
Ich, der ich gern Romane lese, wie oft bin ich mit dem Doktor hinausgegangen, wenn der Fremde ihn rief, den unbekannten Kranken im einsamen Haus zu besuchen … Dieses merkwürdige Abenteuer könnte – in einem späteren Kapitel – zur Aufdeckung eines mysteriösen Verbrechens führen.
THE LONDONER
»Ich glaube«, sagte Mr. Trigg, »es war am 15. oder 16. Juni 1925, als eine Dame zu mir kam und mir genau die gleiche Frage stellte wie Sie vorhin – nur behauptete sie, sich im Namen einer Freundin zu erkundigen, deren Namen sie nicht nannte. Doch – ich glaube, ich kann sie recht gut beschreiben. Sie war groß und hübsch, mit sehr heller Haut, dunklen Haaren und blauen Augen – eine attraktive Frau. Ich erinnere mich, daß sie sehr
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