Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
Miss Climpson, glauben Sie eigentlich, daß eine richtige Freundschaft immer ›halbe-halbe‹ sein sollte?«
»Das wäre wohl die ideale Freundschaft«, meinte Miss Climpson nachdenklich, »aber ich glaube, so etwas ist sehr, sehr selten. Unter Frauen, meine ich. Soviel ich weiß, habe ich dafür noch nie ein Beispiel erlebt. Männer finden es viel leichter, glaube ich, so gleichermaßen zu geben und zu nehmen – wahrscheinlich weil sie so viele anderweitige Interessen haben.«
»Männerfreundschaften – o ja, ich weiß! Man hört soviel davon. Aber ich glaube ja, daß das zur Hälfte gar keine richtigen Freundschaften sind. Männer können jahrelang fort sein und ihre Freunde völlig vergessen. Und sie vertrauen sich einander auch nicht wirklich an. Mary und ich sagen uns alles, was wir denken und empfinden. Männern dagegen scheint es schon zu genügen, wenn einer den andern für einen prima Kerl hält, und um ihr Inneres kümmern sie sich überhaupt nicht.«
»Wahrscheinlich sind ihre Freundschaften deshalb so haltbar«, antwortete Miss Climpson. »Sie stellen aneinander nicht so hohe Ansprüche.«
»Aber eine tiefe Freundschaft stellt nun einmal Ansprüche«, ereiferte sich Miss Findlater. »Sie muß einem einfach alles bedeuten. Es ist so wunderbar, wie sie alle Gedanken zu beherrschen scheint. Es dreht sich nicht mehr alles um einen selbst, sondern um den andern. Das ist doch auch mit der christlichen Nächstenliebe gemeint – daß man bereit ist für den anderen Menschen zu sterben.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte Miss Climpson. »Darüber habe ich einmal einen ganz hervorragenden Pfarrer predigen hören – er hat gemeint, daß diese Art von Liebe leicht zum Götzendienst werden kann, wenn man nicht sehr gut aufpaßt. Seiner Meinung nach steht Miltons Bemerkung über Eva – Sie wissen doch: ›Er für Gott allein und sie für Gott in ihm‹ – mit der Lehre unserer Kirche nicht im Einklang. Alles müsse im richtigen Verhältnis zueinander stehen, und es sei völlig unverhältnismäßig, alles durch die Augen eines Mitmenschen zu sehen.«
»Gott muß man natürlich an die erste Stelle setzen«, antwortete Miss Findlater ein wenig steif. »Aber wenn eine Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruht – und darum ging’s ja –, ganz und gar selbstlos auf beiden Seiten, dann muß sie doch etwas Gutes sein.«
»Liebe ist immer gut, wenn es die richtige Art von Liebe ist«, gab Miss Climpson ihr recht, »aber ich finde, sie darf nicht zu besitzergreifend sein. Man muß sich dazu erziehen « – sie zögerte, doch fuhr dann mutig fort – »und überhaupt, meine Liebe, ich kann mir nicht helfen, aber ich finde es natürlicher – gewissermaßen gehöriger –, wenn ein Mann und eine Frau füreinander alles sind, nicht zwei Personen vom selben Geschlecht. Immerhin ist – äh – diese Liebe – fruchtbar «, sagte Miss Climpson, bei dieser Vorstellung ein wenig unsicher, »und – und so weiter, Sie wissen schon, und ich bin sicher, wenn Ihnen erst der richtige MANN begegnet –«
»Der richtige Mann kann mir gestohlen bleiben!« rief Miss Findlater verstimmt. »Ich hasse solche Redensarten. Man kommt sich so scheußlich dabei vor – wie eine Preiskuh oder so ähnlich. Über diesen Standpunkt sind wir heutzutage doch längst hinaus.«
Miss Climpson sah, daß sie in ihrem ehrlichen Eifer ihre detektivische Vorsicht ganz vergessen hatte. Sie hatte die Gutwilligkeit ihrer Informantin verloren und wechselte jetzt besser das Thema. Immerhin konnte sie Lord Peter aber eines jetzt versichern: Wer immer die Frau gewesen sein mochte, die Mrs. Cropper in Liverpool gesehen haben wollte, es war nicht Miss Whittaker. Die anhängliche Miss Findlater, die ihrer Freundin nie von der Seite gewichen war, bot dafür ausreichend Garantie.
17
Ein Anwalt vom Lande berichtet
Und der uns dieser Tage neue Herren gibt, möge er uns auch neue Gesetze geben.
WITHER: CONTENTED MAN’S MORRICE
Brief von Mr. Probyn, Rechtsanwalt in Ruhe, Villa Bianca, Fiesole, an Mr. Murbles, Rechtsanwalt, Staple Inn:
Persönlich und vertraulich.
Hochgeehrter Herr Kollege!
Ihr Brief bezüglich des Todes der Miss Agatha Dawson, zuletzt Leahampton, war für mich von großem Interesse, und ich will mein möglichstes tun, Ihre Fragen so kurz wie möglich zu beantworten, natürlich unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß alle Informationen, soweit sie meine verstorbene Klientin betreffen, streng vertraulich behandelt werden. Hiervon
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