Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
antisozialistische Leitartikel und deckte eine Verschwörung auf. Jemand erhob Anspruch auf ein Marquisat, und ein Tschechoslowake maßte sich an, den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Hammond verstieß Grace, in Moskau setzte ein großes Morden ein, Foxlaw gewann den Goldpokal, und bei Oxhey öffnete sich die Erde und verschluckte irgend jemandes Vorgarten. Oxford entschied, daß Frauen gefährlich seien, und beim White-City-Rennen ließ sich der elektrische Hase herab, zu laufen. In Wimbledon geriet Englands Vorherrschaft ins Wanken, und das Oberhaus fand sich zu einem Kompromiß bereit.
Inzwischen war Lord Peters magnum opus über hundertundeine Möglichkeit, jemanden eines plötzlichen Todes sterben zu lassen, durch die Ansammlung einer Unmenge Notizen weitergekommen, die seine ganze Bibliothek überfluteten und Bunter, der die Aufgabe hatte, sie systematisch zu ordnen und im weitesten Sinne aus Chaos Ordnung zu schaffen, zu ersticken drohten. Orientalische Forscher und Gelehrte wurden in Clubs beim Schlafittchen gepackt und gründlich nach abstrusen Eingeborenengiften ausgequetscht; unleserliche Dokumente berichteten von schauerlichen Experimenten in deutschen Labors, und Sir James Lubbock, der das Pech hatte, ein guter Freund von Lord Peter zu sein, verlor mehr und mehr die Lust am Leben, denn kein Tag verging, an dem er nicht nach postmortalen Spuren von so verschiedenen Substanzen wie Chloroform, Curare, Blausäure und Diäthylsulfonmethyläthylmethan gefragt wurde.
»Aber es muß doch irgend etwas geben, das tödlich ist und keine Spuren hinterläßt«, bettelte Lord Peter, nachdem man ihm zu guter Letzt zu verstehen gegeben hatte, daß diese Plage aufzuhören habe. »Etwas, wofür eine solch weltweite Nachfrage besteht – es kann doch nicht die Phantasie der Wissenschaftler übersteigen, so etwas zu erfinden. Das muß es geben. Warum wird so etwas nicht annonciert? Irgendeine Firma gibt es doch bestimmt, die daraus Kapital schlägt. Einfach lächerlich ist das. Schließlich handelt es sich um einen Artikel, den man eines Tages vielleicht selbst verwenden möchte.«
»Sie verstehen das falsch«, sagte Sir James Lubbock. »Viele Gifte hinterlassen keine bestimmten postmortalen Erscheinungen. Und davon sind wiederum viele – besonders die Pflanzengifte – in der Analyse schwer nachweisbar, wenn man nicht schon weiß, wonach man sucht. Wenn man zum Beispiel nach Arsen sucht, sagt der Test einem nichts darüber, ob vielleicht Strychnin im Spiel ist. Und wenn man nach Strychnin sucht, findet man kein Morphium. Man muß einen Test nach dem andern machen, bis man den richtigen erwischt. Und es gibt natürlich auch bestimmte Gifte, für die überhaupt kein Nachweisverfahren bekannt ist.«
»Das weiß ich alles«, sagte Wimsey. »Solche Tests habe ich schon selbst vorgenommen. Aber diese Gifte ohne bekannte Nachweismöglichkeiten – wie kann man ihr Vorhandensein trotzdem feststellen?«
»Na ja, da muß man sich natürlich die Symptome ansehen und so weiter. Man muß sich mit der Vorgeschichte des Falles befassen.«
»Ja – aber ich suche ein Gift, das eben keine Symptome hervorruft. Außer dem Tod natürlich – sofern man den ein Symptom nennen kann. Gibt es denn kein Gift ohne Symptome und ohne Nachweis? Etwas, wovon man einfach abkratzt – Pfft und weg.«
»Ganz gewiß nicht«, sagte der Wissenschaftler leicht verärgert – denn Analytiker leben von Symptomen und Tests, und niemand hört sich gerne Ansichten an, die an den Grundpfeilern seines Berufs rütteln –, »nicht einmal Altersschwäche oder geistiger Verfall. Symptome gibt es immer.«
Zum Glück blies Parker das Signal zum Handeln, bevor die Symptome geistigen Verfalls bei Lord Peter allzu sichtbar wurden.
»Ich fahre mit einem Haftbefehl nach Leahampton«, sagte er. »Vielleicht mache ich gar keinen Gebrauch davon, aber der Chef meint, eine Untersuchung könne nichts schaden. Nach dem geheimnisvollen Fall von Battersea, der DanielsGeschichte und jetzt noch Bertha Gotobed scheint allgemein das Gefühl zu herrschen, daß es dieses Jahr schon ein paar ungeklärte Tragödien zuviel gegeben hat, und die vermaledeite Presse fängt auch schon wieder an zu kläffen. Im John Citizen steht diese Woche ein Artikel mit dem Riesenaufmacher: ›Sechsundneunzig Mörder laufen frei herum.‹ Und die Evening Views beginnen ihre Berichte mit Sätzen wie: ›Sechs Wochen sind nun vergangen, und die Polizei ist der Lösung immer noch nicht näher‹ – du
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