Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Wild-West
Am
folgenden Morgen wurde mir dies noch unglaubwürdiger — ja, ich zweifelte
ernsthaft daran. Länger als gewöhnlich hatte ich geschlafen, und als ich
endlich erwachte, war es bereits heller Tag. Cookie Pott öffnete die
Fensterläden.
»Trübes
Wetter, Mylord«, begrüßte er mich, stellte den Tee neben das Bett und wollte
sich gleich wieder entfernen.
Ich
richtete mich im Kissen auf und fragte: »Was ist das für ein Lärm ?« Das Haus bebte nämlich in seinen Grundfesten. Da knallten
Schüsse und tönten Gewieher und Geschrei. Jetzt erinnerte ich mich, daß ich von
einem Gewitter geträumt hatte: da hatte ich die Erklärung, nur war es kein
Gewitter.
»Ich
fürchte, Mylord, Sie werden nicht begeistert sein...«
»Worüber?
Was ist da unten ausgebrochen ?«
»Der
Wilde Westen, Mylord!«
Mit
einem Sprung war ich aus den Federn, schlüpfte in meinen Morgenmantel aus grüner
Seide (ein Erbstück meines Vaters), fuhr in die Pantoffeln und eilte die Treppe
hinab. Meinen noch verträumten Augen bot sich ein erschütterndes Bild. Die
ehrwürdige Halle von Bloodywood-Castle, gleich hinter dem Eingangsportal
gelegen und seit Jahrhunderten Schauplatz vornehmer Szenen, höflicher
Begrüßungen und liebenswürdiger Verabschiedungen adliger Gäste... diese Halle
war in ein wüstes Schlachtfeld verwandelt.
Pistolen
knallten, Pfeile schwirrten, Lanzen wurden geschwungen, ein Pferd tänzelte: mit
einem Wort, es war die Hölle.
Sprachlos
stand ich auf der Stufe.
»Jippijippihe!«
machte unten ein Cowboy auf dem Pferd, ließ das Wurfseil, man nennt es auch
Lasso, über dem Kopf kreisen und erwischte mit ihm die Ritterrüstung in der
Ecke, die scheppernd zu Boden ging.
Der
Cowboy war zwar stilgerecht gekleidet, er saß auch musterhaft im Sattel, es war
aber doch sonderbar, daß er ein Kaninchengesicht hatte.
»Onkel
Rab, was soll das ?«
»Achtung«,
antwortete Cowboy Rab und feuerte einen Schuß aus einem Colt, der schon bessere
Tage gesehen hatte, auf mich ab. Er war so verrostet, sein Lauf war so krumm,
daß ich diesem Umstand vielleicht mein Leben verdankte. Denn der Schuß ging
hinter mir in die Wandvertäfelung. »Keine Bange«, jauchzte Cowboy Rab, »ich
weiß genau, wohin ich ziele .« Und wie zum Zeichen
dessen holte er eine halbe Kerze vom Kronleuchter. Er köpfte sie glatt ab.
Mehr
Würde als dieser Cowboy zeigte der alte Indianerhäuptling. Er kauerte vor
seinem pyramidenförmigen Zelt, angetan mit dem Schmuck aus Adlerfedern, der ihm
hinten bis auf den Boden herabhing. Er trug ein reichverziertes Hemd mit
Schulterfransen, braune Ledermokassins, um den Hals eine Muschelkette, rauchte
die Friedenspfeife — doch vor ihm lag ein messerscharfer Tomahawk, eine edle
Arbeit.
»Gegrüßt
sei mein Weißer Bruder«, brummte mich der Häuptling Hundekopf an. Es war Onkel
Berni.
Ich
war nicht nur verärgert, ich mußte einen Anflug von Wut bekämpfen. »Wie kommt
ihr an die Sachen ?« rief ich, ein wenig lauter und
aufgebrachter, als es der Anstand und die Selbstbeherrschung eines schottischen
Lords erlauben! »Wie konntet ihr meine wertvolle Sammlung, mein einzigartiges
Indianermuseum so... so... entweihen, verderben, kaputtmachen ?«
»War
ja ganz einfach«, sagte Cowboy Rab. »Wir haben uns alles genommen !«
»Aber
das Zimmer war doch abgeschlossen !«
»Abgeschlossen?
Ph! Was ist das? Du vergißt, wer wir sind !« Richtig!
Für meine sonderbaren Vorfahren gab es wohl keine Schlösser.
»Wir
mußten es tun. Natürlich macht es uns auch viel Spaß«, sagte Häuptling
Hundekopf mit tiefer blaffender Stimme. »Wir proben! Wir üben Wilder Westen.
Das geht am besten in Originalkostümen, mit Originalwaffen... wir haben
wertvolle Erkenntnisse dabei gewonnen .«
»O
ja, und das ist sehr wichtig, sehr wichtig«, kollerte es unter einer Wolldecke
hervor. Sie hing vom Marmortisch herab bis auf den Boden. Dieser Vorhang wurde
zurückgeschlagen, und heraus stolzierte eine in Tücher gewickelte
Indianersquaw, deren Kopf stark an einen Vogel erinnerte, so kühn und scharf
war die Nase. Nur sonderbar war, daß die Squaw eine Stielbrille vor die Augen
hielt. Nun, vielleicht hatte sie diese einer reichen Farmersfrau gestohlen,
nachdem das unglückliche Weib hinterrücks ermordet worden war. Die Squaw
Truthahnschnabel konnte auch lesen, sie kratzte ein Buch aus ihrer Behausung,
legte es aufgeschlagen vor sich hin und schimpfte: »Es ist alles noch
schlimmer, als wir es uns vorgestellt hatten. Mord,
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