Lord Stonevilles Geheimnis
ein kleines Lächeln. »Ich glaube, das kann ich schaffen.« Dann – als wäre ihr bewusst geworden, dass sie zu nachgiebig wurde – sah sie ihn streng an. »Aber Sie müssen sich auch verantwortungsbewusst verhalten.«
»Indem ich nicht versuche, Sie zu verführen, meinen Sie?«
»Nein! Ich meine, ja … Äh, Sie sagten doch, dass Sie dringlichere Sorgen hätten.« Plötzlich wurde sie ganz rot im Gesicht. »Du meine Güte, ich hatte völlig vergessen, dass Sie außerdem gesagt haben, Sie besäßen weder Ehre noch Moral!«
Solche und ähnliche Behauptungen gab er nun schon sein halbes Leben lang von sich, doch an diesem Abend bedauerte er seine Sprüche. Junge Damen zu schockieren hatte für ihn anscheinend einiges an Reiz verloren.
»Trotzdem verspreche ich Ihnen, Miss Butterfield, dass Ihrer Unschuld von mir keinerlei Gefahr droht.« Als sie ihn zweifelnd ansah, fügte er hinzu: »Sie gehören nicht zu der Sorte Frau, die ich bevorzuge.« Ehrbare Frauen brachten vielerlei Verpflichtungen mit sich.
»Natürlich nicht«, entgegnete sie und verdrehte die Augen. »Das ist mehr als offensichtlich.«
Er schwieg verblüfft.
»Eine Frau mit Moral ist für einen Mann, der keine hat, uninteressant«, erklärte sie. »Sie würde es ihm niemals gestatten, etwas Unanständiges zu tun.«
Freddy hustete, als hätte er sich verschluckt. Oliver wusste, warum. Miss Butterfield hatte die unschöne Eigenschaft, die Dinge stets beim Namen zu nennen.
»Richtig«, sagte er in Ermangelung einer besseren Antwort. Dann sah er sie durchdringend an. »Aber was haben Sie nun damit gemeint, als sie sagten, ich müsse mich verantwortungsbewusst verhalten?«
»Sie haben versprochen, meinen Verlobten zu suchen, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihr Wort halten.«
»Ah, richtig. Ihr Verlobter.« Ihn vergaß er immer wieder. Es war kaum zu glauben, dass eine Frau eine Reise über den Ozean antrat, um ihren Verlobten zu suchen. Seinetwegen würde keine Frau so etwas tun.
Nicht dass er es gewollt hätte. Es würde bedeuten, dass ihm jemand mehr Zuneigung entgegenbrachte, als angesichts seines Charakters geboten war.
»Erzählen Sie mir von diesem Nathan«, sagte er mit einer gewissen Schärfe. »Warum zum Teufel sind Sie selbst nach England gekommen, statt jemanden von der Firma Ihres Vaters zu schicken?«
»Ich sagte es doch schon: Papas Geld ist in dem Unternehmen gebunden. Meine Treuhänder haben sich geweigert, irgendetwas wegen Nathan zu unternehmen. Sie meinten, er sei wahrscheinlich zu sehr mit den Verhandlungen beschäftigt, um sich zu melden. Und ich konnte es mir nicht leisten, jemand anderen zu beauftragen.«
»Derjenige hätte mit demselben Schiff kommen können wie Sie. Es hätte nicht mehr gekostet.«
»Ja, aber hier hätte er viel mehr Geld für Unterkunft und Verpflegung gebraucht. Freddy und ich, wir sind es gewohnt, mit wenig auszukommen.«
»Das kann man wohl sagen«, bemerkte Freddy.
Sie sah ihn böse an.
»Aber es stimmt doch!«, sagte der Bursche. »Als wir noch Kinder waren, hatte Onkel Adam Mühe, uns alle durchzufüttern. Erst als Nathan kam und sich mit ihm zusammengetan hat, wurde es besser.«
»Obwohl er erst dreißig ist, kennt sich Nathan hervorragend mit Geld aus«, sagte Maria stolz. »Papa hatte das praktische Wissen über den Schiffsbau, aber Nathan hat das Geschäft erst richtig angekurbelt.«
Oliver begann zu verstehen. »Also hat Ihr Vater ihm seine einzige Tochter als Frau angeboten.«
»Nein, so war das nicht!«, protestierte sie. »Nathan und ich waren bereits befreundet, als Papa anfing, vom Heiraten zu reden. Da er keinen Sohn hatte, wollte er Nathan seine Hälfte des Unternehmens vermachen, wenn wir uns vermählten. Papa hat ihn nicht gezwungen, mich zur Frau zu nehmen. Er hat es ihm nur …«
»Schmackhaft gemacht«, warf Oliver ein.
Sie legte ihre schöne Stirn in Falten. »Es ist nicht so eine gefühllose Angelegenheit, wie Sie denken.«
»Nein? Hyatt bekommt auch die andere Hälfte des Unternehmens, und Sie bekommen einen Ehemann. Das ist bei uns auch gang und gäbe.« Und es widerte ihn an.
»Es ist nicht … Papa hat doch nicht … Ach, wie soll ich es Ihnen erklären? Sie sind immer so zynisch.«
»Vielleicht«, entgegnete er leise, »sind Sie ja nicht zynisch genug. Warum, meine Liebe, hat Hyatt Sie denn nicht längst geheiratet, wenn er Ihnen so zugetan ist?«
Sie errötete. »Weil
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