Lord Stonevilles Geheimnis
sein Gut wahrscheinlich so groß wie ganz Dartmouth!
Plötzlich geriet Maria in Panik. Wie konnte sie vorgeben, die Verlobte eines Mannes zu sein, dem ein derart imposantes Anwesen gehörte?
» Ich wurde nach König Friedrich benannt«, meldete sich Freddy zu Wort.
»Nach welchem?«, fragte Oliver.
»Gibt es denn mehr als einen?«, gab Freddy erstaunt zurück.
»Mindestens zehn«, entgegnete Oliver trocken.
Freddy runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, nach welchem.«
Als Oliver ihn belustigt ansah, sagte Maria: »Ich glaube, Tante Rose wollte einen Namen, der allgemein königlich klingt.«
»Genau«, sagte Freddy, »ich wurde ganz allgemein nach König Friedrich benannt.«
»Verstehe«, sagte Oliver mit ernster Miene, doch seine Mundwinkel zuckten. Er sah sie an. »Und was ist mit Ihnen? Nach welcher Maria wurden Sie benannt?«
»Nach der Jungfrau Maria natürlich«, antwortete Freddy an ihrer Stelle.
»Natürlich«, sagte Oliver mit funkelnden Augen. »Ich hätte es wissen müssen.«
»Wir sind katholisch«, erklärte Freddy.
»Meine Mutter war katholisch«, korrigierte Maria ihn. »Papa nicht, aber weil Freddys Mutter auch katholisch ist, wurden wir beide so erzogen.« Nicht dass sie den Glauben jemals besonders ernst genommen hätte. Ihr Vater hatte immer gegen die Kirche gewettert.
In Olivers Gesicht breitete sich ein verschlagenes Grinsen aus. »Eine Katholikin! Es wird wirklich immer besser. Großmutter wird der Schlag treffen.«
Maria war die beleidigenden Bemerkungen über ihre Herkunft endgültig leid. »Also bitte, Sir …«
In diesem Moment hielt die Kutsche an. »Wir sind da«, sagte Oliver.
Als Maria hinausschaute, verkrampfte sich ihr Magen. Halstead Hall erstreckte sich von der Zufahrt aus endlos zu beiden Seiten und glitzerte im winterlichen Mondlicht wie ein Diamant. Die Vorderseite hätte man für relativ schlicht halten können – keine pompöse Treppe, keine hohen Säulen –, wenn die Zinnen und die Wehrtürme an den Ecken nicht gewesen wären. Ganz zu schweigen von dem massiven Eichentor, das sich ihnen nun öffnete. Es kam Maria so vor, als wäre sie plötzlich am Hof von König Artus gelandet. Doch die livrierten Diener und Stallburschen, die nun herbeiliefen, stammten eindeutig nicht aus einem vergangenen Jahrhundert.
»Anscheinend hat Großmutter auch ihre eigenen Bediensteten mitgebracht«, bemerkte Oliver mürrisch. Nachdem ein Diener die Trittstufe heruntergeklappt hatte, stieg er aus, dann half er Maria aus der Kutsche und drückte ihre Hand in seine Armbeuge.
»Hat sich meine Großmutter schon zum Dinner begeben?«, fragte er den Diener in dem gleichen herrischen Ton, den er auch im Bordell angeschlagen hatte.
»Nein, Mylord.«
»Gut. Dann sagen Sie dem Koch, dass drei Personen mehr am Tisch erscheinen werden.«
Maria klammerte sich unsicher an Olivers Arm. Es war nicht so, als hätte sie nie Diener gehabt. Als es mit Papas Firma bergauf ging, hatte er einige eingestellt, aber sie mussten keine eleganten Uniformen tragen. Die englischen Diener flatterten betulich um sie herum, während sie ihr die Redingote und den Männern die Mäntel und Hüte abnahmen, als wäre es eine Ehre, »seiner Lordschaft« zu dienen. Sie fand das Prozedere ziemlich unerträglich, vor allem weil Oliver seine Leute so finster und von oben herab ansah.
Nachdem sie durch einen Torbogen gegangen waren, erreichten sie einen viereckigen, gepflasterten Innenhof mit mehreren schweren Eichentüren. Oliver ging mit ihr und Freddy auf eine zu, die sich wie von Zauberhand öffnete. Maria hatte das Gefühl, wie eine Königin durch einen Palast geleitet zu werden.
Dann erreichten sie einen riesigen Raum, der so überwältigend war, dass ihr der Atem stockte.
»Das ist die alte Eingangshalle«, erklärte Oliver. »Sie sieht erschreckend mittelalterlich aus, nicht wahr?«
»Ich finde sie wunderschön.«
»Großmutter liebt sie sehr. Es ist ihr Lieblingsraum hier.«
Das konnte Maria sehr gut verstehen. Eine der hohen, mit Eichenholz vertäfelten Wände bestach durch zwei imposante Marmorkamine, und die Wand gegenüber wurde von alten abgewetzten Bänken gesäumt. Doch ganz besonders beeindruckend fand sie den Eichenwandschirm aus der Zeit Jakobs des Ersten am anderen Ende der Halle. Er war sechs Meter hoch, so breit wie zwei Türen und mit Schnitzereien von Fabelwesen sowie Wappen geschmückt. Am oberen Ende, knapp
Weitere Kostenlose Bücher