Lord Stonevilles Geheimnis
Butterfield«, sagte er und führte sie zur Tür. »Sie werden sie nicht bereuen.«
Das bezweifelte sie allerdings sehr.
Als die Kutsche losfuhr, holte Oliver seine Taschenuhr hervor und hielt sie ans Fenster, um im Schein der Straßenlaternen einen Blick darauf zu werfen. Kurz nach achtzehn Uhr – ausgezeichnet. Sie würden pünktlich zum Dinner eintreffen. Das Dinner versäumte seine Großmutter nie.
Er betrachtete die hübsche Frau, die ihm gegenübersaß. Es war bedauerlich, dass sie ihre Redingote übergezogen hatte, denn das Kleid darunter brachte ihre Figur viel besser zur Geltung. Noch bedauerlicher war jedoch, dass er ihr weder das eine noch das andere ausziehen durfte.
Er hatte nur mit Mühe dem Drang widerstehen können, seine Lippen in ihre Halsbeuge zu drücken, als er ihr das Kleid zugeknöpft hatte. Es war ein eigenartiges Gefühl, einer Frau so nah zu sein, ohne sie liebkosen zu dürfen. Er war es gewohnt, sich von Frauen zu nehmen, was er wollte, wozu sie ihn in der Regel sogar ermunterten.
Miss Butterfields Hals gäbe im Rahmen eines Festschmauses für Genießer einen köstlichen ersten Gang ab. Schon ihre Lippen konnten einen Mann eine ganze Weile bei Laune halten, ganz zu schweigen von ihren herrlichen üppigen Brüsten. Er gab sich der Fantasie hin, wie er sie in eine dunkle Ecke zog und sie bis zur Besinnungslosigkeit küsste, um gleich darauf seine Hand in ihr prächtiges Dekolleté gleiten zu lassen und …
Er unterdrückte einen Fluch, als sich plötzlich etwas in seiner Hose regte. Miss Butterfield zu verführen stand nicht zur Debatte. Abgesehen von dem Problem, dass sie noch Jungfrau war, konnte ihr Verlobter jeden Augenblick auftauchen, um die Dinge noch komplizierter zu machen.
Und selbst wenn die junge Dame sich gefügig zeigte, was zu bezweifeln war, würde sie es später bereuen. Er konnte es sich nicht erlauben, ihre »moralischen Prinzipien« zu missachten und zu riskieren, dass sie Halstead Hall fluchtartig verließ.
Während ihr Vetter mit großen Augen aus dem Fenster sah, saß sie kerzengerade und geradezu vor Empörung bebend auf ihrem Platz in der Kutsche. Ihren schönen Mund hatte sie missbilligend zusammengekniffen. Sie hielt ihn für einen ehrlosen Verführer und ließ sich auch dadurch nicht von ihrer Meinung abbringen, dass er ihren Vetter vor dem Henker bewahrt hatte.
Das fand er äußerst faszinierend.
Frauen äußerten selten ihre wahren Ansichten über seinen Charakter. Die Jungfrauen hatten zu viel Angst, es zu tun, denn ihre Mütter hatten sie davor gewarnt, wie gefährlich er war. Die Verheirateten waren zu begierig darauf, das Bett mit ihm zu teilen, um ihn wegen seiner Niedertracht zu schelten. Nur wenn sie hinter seinem Rücken über ihn tratschten und genüsslich die besonders hässlichen Gerüchte über den Tod seiner Eltern austauschten, nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Er runzelte die Stirn.
Es tue ihr leid, hatte Miss Butterfield gesagt. Es sei schrecklich, seine Eltern zu verlieren. Niemand wisse das besser als sie.
Die plötzliche Enge in seiner Brust ließ ihn innehalten. Was machte es schon aus, ob es ihr leidtat oder nicht? Oder dass ihm ihr sanftes Mitgefühl unter die Haut gegangen war und einen winzigen Teil seines dunklen Inneren erwärmt hatte. Ihr Mitgefühl bedeutete gar nichts. Sie kannte die Gerüchte nicht, und sobald sie ihr zu Ohren kamen, würde sie voller Entsetzen vor ihm zurückweichen. Sie zählte sicherlich nicht zu den Frauen, die den Tratsch über seinen gefährlichen Charakter faszinierend fanden, denn dafür war sie zu »moralisch«.
Er verdrängte den deprimierenden Gedanken rasch wieder. Ihm blieb nur eine Stunde, um sie vorzubereiten.
»Wir sollten noch ein paar Dinge besprechen, bevor wir mein Gut erreichen.« Als sie ihn argwöhnisch ansah, sagte er sich, dass es besser war, wenn sie ihn verachtete. So fiel es ihm leichter, die Finger von ihr zu lassen. »Die Vereinbarung, dass ich Ihnen bei der Suche nach Ihrem Verlobten behilflich sein werde, muss aus ersichtlichen Gründen unter uns dreien bleiben.«
»Ich sage kein Wort«, versprach Freddy.
»Ich natürlich auch nicht«, sagte sie.
»Und Sie müssen den Eindruck erwecken, dass sie mich tatsächlich heiraten wollen«, fuhr Oliver fort.
»Ich verstehe.«
»Wirklich? Es bedeutet, dass Sie so tun müssen, als würden Sie meine Gesellschaft genießen.«
Zu seiner Überraschung schenkte sie ihm
Weitere Kostenlose Bücher