Lord Stonevilles Geheimnis
Ihrer Familie?«, fragte sie.
»Meine Familie hat es überhaupt nicht verdient, Sie darin zu sehen.« Der dunkle, raue Klang seiner Stimme raubte ihr den Atem. »Ich wünschte nur, Sie und ich könnten …«
»Sie sehen hinreißend aus!«, ertönte es hinter Oliver, und Lord Gabriel kam den Korridor hinunter. Er war wie gewohnt ganz in Schwarz gekleidet, und ihm schaute der Schalk aus den Augen. »Entschuldigen Sie die Verspätung, Miss Butterfield, aber vielen Dank, lieber Bruder, dass du ihr ein wenig Gesellschaft geleistet hast.«
Oliver sah ihn mürrisch an. »Was zum Teufel soll das heißen?«
»Ich geleite die junge Dame zum Dinner.«
»Das sollte ihrem Verlobten vorbehalten sein, meinst du nicht?«, fuhr Oliver ihn an.
»Du bist nur ihr vorgeblicher Verlobter und hast eigentlich keinen Anspruch auf sie. Und da du sie schon den ganzen Tag für dich hattest …« Lord Gabriel bot Maria seinen Arm. »Wollen wir, Miss Butterfield?«
Maria wusste nicht, was sie tun sollte, und zögerte. Aber Oliver war eine Bedrohung für ihren gesunden Verstand und sein Bruder nicht. Also schien Lord Gabriel die bessere Wahl zu sein.
»Vielen Dank, Sir«, sagte sie und nahm seinen Arm.
»Jetzt warte gefälligst mal! Du kannst doch nicht einfach …«
»Was? Nett zu unserem Gast sein?«, fragte Lord Gabriel mit Unschuldsmiene. »Ehrlich, alter Knabe, mir war nicht klar, dass es so eine große Sache ist. Aber wenn es dir unerträglich ist, Miss Butterfield am Arm eines anderen Mannes zu sehen, überlasse ich dir natürlich das Feld.«
Seine Worte gaben Oliver zu denken. Er schaute von Maria zu seinem Bruder. Dann lächelte er, aber es wirkte gezwungen. »Nein, ist schon in Ordnung«, sagte er mit gepresster Stimme. »Ich habe kein Problem damit.«
Als sie den Korridor hinuntergingen, warf Gabriel Maria einen verschwörerischen Blick zu. Sie wusste zwar nicht, worin die Verschwörung bestand, aber da sich Oliver, der einige Schritte hinter ihnen ging, sehr darüber zu ärgern schien, spielte sie mit.
Diese Begebenheit war nur die erste von vielen weiteren, die im Lauf der Woche folgten. Wann immer sie und Oliver allein waren, und wenn auch nur für einen Augenblick, tauchte prompt jemand von seinen Geschwistern auf, um sie zu einer netten Vergnügung einzuladen: zu einem Spaziergang im Park, zu einer Fahrt nach Ealing, zu einem Kartenspiel. Und mit jedem Mal wuchs Olivers Verärgerung, ohne dass es in Marias Augen einen Grund dafür gab.
Es sei denn …
Nein, dieser Gedanke war verrückt. Die offensichtlichen Versuche seiner Familie, sie voneinander zu trennen, erzürnten ihn sicherlich nur deshalb, weil er sich nicht der Möglichkeit berauben lassen wollte, sie zu verführen. Schließlich hatte er ihr vorgeschlagen, sie zu seiner Mätresse zu machen. Es war ja nicht so, als ob sie ihm wirklich etwas bedeutete. Es hatte keinen Zweck, sich mehr von ihm zu erhoffen.
Erhoffen? Ein ebenso absurder Gedanke. Sie erhoffte sich gar nichts von ihm – sie hatte bereits einen Verlobten.
Nur fiel es ihr auf Halstead Hall sehr schwer, überhaupt an Nathan zu denken. In dem alten, regelrecht verwunschenen Gemäuer kam ihr jeder Tag vor wie ein Kapitel aus einem Roman. Einmal stieß sie in einem Boudoir auf einen echten, aber recht verstaubten Rembrandt, und ein andermal lief ihr eine Ratte über den Weg. Das große Haus hatte seinen Glanz, aber auch seinen Schrecken.
Und diese Bediensteten! Du lieber Himmel, sie schwirrten um sie herum wie die Bienen um ihre Königin. Maria konnte es nicht verstehen, denn so viele Hausangestellte gab es auf dem Gut eigentlich gar nicht. Wie war es also möglich, dass immer mindestens einer von ihnen auftauchte, wenn sie einen Sessel ans Licht schob, um besser lesen zu können, oder sich in der Küche eine Kleinigkeit zu essen holen wollte? Sie wusste nicht, wie die Sharpes das aushielten.
Unterdessen redeten Olivers Geschwister unentwegt über den Ball am Valentinstag, den die Herzogin von Foxmoor ausrichtete. Je näher der Tag rückte, desto nervöser wurde Maria, denn Mrs Plumtree erwähnte ein ums andere Mal, dass Oliver bei dieser Gelegenheit ihre Verlobung bekannt geben würde. Sie war offensichtlich weit davon entfernt, so schnell nachzugeben, wie Oliver gedacht hatte.
Daher war Maria sehr erleichtert, als ein Diener ihr einen Tag vor dem Ball die Nachricht überbrachte, dass Seine Lordschaft sie in seinem Arbeitszimmer zu
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