Lord Stonevilles Geheimnis
sprechen wünsche. Nun konnte sie endlich unter vier Augen mit ihm reden. Sie machte sich eilig auf den Weg und hoffte, dass ausnahmsweise einmal niemand von seinen Geschwistern hereinplatzte.
Kaum war sie eingetreten, schloss er die Tür und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. Dann begann er sichtlich angespannt im Raum auf und ab zu gehen. Maria bekam Herzklopfen. Hatte er vielleicht etwas von Mr Pinter gehört? Gab es schlechte Nachrichten in Bezug auf Nathan?
Nach einer guten Weile blieb Oliver hinter seinem Schreibtisch stehen. »Haben meine Diener Ihr Missfallen erregt?«
Sie stutzte. Mit einer solchen Frage hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. »Nein, ganz und gar nicht.«
»Diesen Eindruck haben sie aber.«
»Ich wüsste nicht, warum.«
»Sie sagen, Sie machen morgens Ihr Bett selbst.«
»Nun ja, natürlich.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Und Sie machen selbst Feuer im Kamin und holen sich selbst Ihren Tee.«
»Warum nicht?«
Er kniff die Augen zusammen. »Hatten Sie zu Hause keine Diener?«
»Doch, gewiss.« Sie straffte die Schultern. »Wir hatten einen Kutscher und einen Stallburschen und zwei Dienstmädchen, die mir und meiner Tante bei der Wäsche und in der Küche geholfen haben.«
Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Ah, jetzt verstehe ich allmählich das Problem.«
»Ich hoffe, Sie werden es mir erklären, denn ich verstehe es nicht.«
»Bei uns in England sind Diener nicht zum Helfen da, sondern zum Machen .«
»Was soll das heißen?«
Er lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Wenn Sie Ihr Bett selbst machen, denken die Bediensteten, Sie wären unzufrieden damit, wie sie diese Arbeit verrichten. Das Gleiche gilt fürs Feuermachen und den Tee. Diese Leute wollen Ihnen dienen, und wenn Sie es ihnen nicht gestatten, denken sie, sie hätten Sie enttäuscht.«
»Das ist doch absurd! Ich sage ihnen immer, dass ich keine Hilfe brauche.«
»Genau. Und damit nehmen Sie ihnen ihren Lebensinhalt, was wiederum ihren Stolz verletzt.«
Maria dachte daran, was für einen besorgten Eindruck Betty immer machte. »Es kann doch niemand Erfüllung darin finden, anderen zu dienen!«
»In England schon.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ich weiß, für Sie als Amerikanerin ist das schwer zu verstehen, aber englische Diener sind sehr stolz auf das, was sie tun, auf die Familie, für die sie arbeiten, und auf die wichtige Position, die sie im Haus einnehmen. Wenn Sie ihnen die Möglichkeit verwehren, ihre Pflicht zu tun, geben Sie ihnen das Gefühl, dass Sie keinen Respekt vor ihnen haben.«
Maria stieg die Hitze ins Gesicht. »Oh je! Schwirren sie etwa deshalb ständig um mich herum und versuchen, irgendetwas für mich zu tun?«
»Ja. Je mehr Sie selbst erledigen, desto überzeugter sind die Diener davon, dass sie etwas falsch gemacht haben.«
Du lieber Himmel! »Ich wollte ihnen ihre Aufgabe doch nur ein wenig erleichtern! Nachdem die Bediensteten Ihrer Großmutter nach London zurückgekehrt sind, und weil doch in so einem großen Haus so viel zu tun ist …«
»Ich weiß. Ist schon gut.« Oliver setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Lassen Sie die Leute einfach ihre Arbeit machen. Sie glauben, dass Sie schon bald ihre Herrin sein werden, deshalb wollen sie unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen.«
Maria schluckte. Das war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. »Was das angeht … Beabsichtigen Sie wirklich, morgen auf dem Ball unsere Verlobung bekannt zu geben?«
Er schüttelte den Kopf. »So weit wird es nicht kommen. Großmutter hat mir zwar bis jetzt Paroli geboten, aber sie würde unseren Disput niemals ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Sie weiß nur zu gut, welche Folgen es für die Familie hätte. Letzten Endes wird sie einlenken, das versichere ich Ihnen.«
»Und wenn nicht? Wenn Sie es öffentlich bekannt geben, könnte Nathan davon erfahren …«
Olivers Miene versteinerte sich. »Niemand wird davon erfahren, weil es keine Bekanntmachung geben wird!«
»Ich hoffe, Sie behalten recht.« Ihr Gewissen plagte sie inzwischen sehr. Sie hatte der Heirat mit Nathan zugestimmt, sie war ihm versprochen. Und jedes Mal, wenn sie es zuließ, dass Oliver ihren Absichten entgegenarbeitete, verhielt sie sich unehrenhaft.
»Vertrauen Sie mir, Maria, alles wird gut«, sagte Oliver, dann trat eine peinliche Stille ein.
Maria erhob sich. »Nun, wenn das alles ist …«
»Gehen Sie
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