Lord Stonevilles Geheimnis
Frauen sehr oft sein Interesse, aber immer nur für kurze Zeit. Wieso sollte es ausgerechnet bei einer einfachen Amerikanerin, die sich nicht im Umgang mit Bediensteten auskannte, länger anhalten als bei allen anderen Frauen?
Doch obwohl Maria sich ein ums andere Mal sagte, wie unwahrscheinlich es war, keimte Hoffnung in ihr auf, als sie den Speisesaal betrat. Allerdings stellte sie dann zu ihrer Bestürzung fest, dass Oliver nicht mit den anderen am Tisch saß.
Sie verkniff es sich, seine Abwesenheit zu kommentieren, doch als sie Platz nahm, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. »Und wo ist Seine Lordschaft heute Abend?«, fragte sie.
Seine Geschwister wechselten betretene Blicke, und ihr schwante nichts Gutes.
»Er ist in die Stadt gefahren«, erklärte Freddy vergnügt. »So sind sie, die englischen Lords! Immer auf der Suche nach Zerstreuung.«
Maria starrte Freddy an, dann schaute sie zu Lord Jarret, der mit steinerner Miene seinen Löffel in die Suppe tauchte, die gerade serviert worden war. Zerstreuung. Oliver war doch sicherlich nicht …
»Er verbringt den Abend in seinem Club«, sagte Lord Jarret schließlich mit einem verstohlenen Blick in Richtung seiner Großmutter. »Wahrscheinlich, um ein paar Runden Poker zu spielen.«
»Haben Sie nicht heute Nachmittag zu Lord Gabriel gesagt, dass er ins Bor…« Freddy stieß einen schrillen Schrei aus und sah Celia böse an. »Wofür war das denn?«
»Oh, du liebe Zeit, habe ich Sie etwa getreten?«, sagte sie überfreundlich. »Tut mir leid, das wollte ich nicht!«
Freddy langte verdrossen unter den Tisch, um sich sein schmerzendes Schienbein zu reiben.
Ins Bordell, natürlich! Wohin sonst sollte Oliver gehen, um sich zu amüsieren? Maria senkte den Kopf und kämpfte gegen den Schmerz an, den sie plötzlich in der Brust verspürte. Es war nett von Celia, dass sie versuchte, sie vor der Wahrheit zu schützen, aber bis auf Mrs Plumtree wusste jeder am Tisch, dass es Olivers gutes Recht war, ins Bordell zu gehen. Wie hatte sie nur so töricht sein können zu hoffen, dass sie ihm wirklich etwas bedeutete! Oliver war einzig und allein auf sein Vergnügen aus, und wenn er es nicht von ihr bekam, holte er es sich eben woanders.
»Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass er in den Club geht«, sagte Freddy bedauernd. »Dann hätte ich ihn gebeten, mich mitzunehmen.« Er schlürfte einen großen Löffel Suppe. »Er hat mir nämlich versprochen, mich den anderen Herren dort vorzustellen.«
»Es wird sich bestimmt bald noch einmal eine Gelegenheit ergeben, Freddy.« Maria bemühte sich, möglichst desinteressiert zu klingen. Damit ihr niemand anmerkte, wie verletzt sie war, wechselte sie rasch das Thema: »Ich hätte da noch eine Frage, was den Ball morgen bei Lord Foxmoor angeht …«
»Nur Foxmoor«, warf Gabe freundlich ein. Als ihn seine Schwester mit dem Ellbogen anstieß, fragte er: »Willst du etwa, dass sie sich auf dem Ball blamiert? Damit tun wir ihr keinen Gefallen.«
Maria wurde rot vor Scham. Sie schien aber auch gar nichts richtig zu machen.
»Ein Herzog wird nicht ›Lord‹ genannt, liebe Miss Butterfield.« Zu Marias Schreck kam die freundliche Belehrung von niemand anderem als Olivers Großmutter.
Als sie Mrs Plumtree ansah, merkte diese offenbar, dass sie aus der Rolle gefallen war, und schlug augenblicklich einen strengeren Ton an. »Man sagt Eure Hoheit, Seine Hoheit, einfach nur Foxmoor oder der Herzog, aber auf keinen Fall Lord. So spricht man nur die niederen Mitglieder des Hochadels an.«
»Vielen Dank.« Maria hob den Kopf. »Sollte ich sonst noch etwas wissen, damit ich mich morgen Abend nicht der Lächerlichkeit preisgebe?«
»Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen«, sagte Minerva mit einem freundlichen Lächeln. »Alle werden so mit der Verlosung der Valentinspartner beschäftigt sein, dass es sie nicht kümmern wird, ob Sie den einen oder anderen falsch anreden. Nicht wahr, Jarret?«
»Oh Gott, die Verlosung!« Er sah Minerva verdrießlich an. »Ich war so lange nicht bei einem Valentinstagsfest, dass ich die Verlosung völlig vergessen habe. Lässt es sich vielleicht irgendwie verhindern, dass ich den Namen eines miesepetrigen Fräuleins ziehe, das darauf brennt, mich zu bessern? Bei solchen Anlässen scheint mich mein Glück immer zu verlassen.«
»Dann gibt es hier also auch eine Verlosung?«, fragte Maria. »In Amerika ziehen die unverheirateten Herren
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