Lord Stonevilles Geheimnis
könntest doch Lord Stoneville heiraten«, schlug Freddy vor.
Beinahe hätte sie hysterisch gelacht. Nein, das könnte sie nicht, selbst wenn Oliver es wollte. Doch es hatte keinen Sinn, mit Freddy darüber zu diskutieren. »Ein Mann, der bei jeder Gelegenheit ins Bordell verschwindet, gibt wohl kaum einen guten Ehemann ab.«
Freddy ließ die Schultern hängen. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Warum gesellst du dich nicht auf einen Portwein zu den Herren? Ich versichere dir, ich fühle mich pudelwohl.«
Er nickte erleichtert, dann trottete er den Korridor hinunter.
Maria schlug das Herz bis zum Hals. Freddy hatte recht. Sie mochte Oliver tatsächlich, aber weiter durfte es nicht gehen. Sie war nicht so töricht, ihr Herz an einen Mann zu verlieren, der sie in einem Moment leidenschaftlich küsste und im nächsten ins Bordell abrauschte.
Auch wenn ihr das Herz brach bei dem Gedanken an all das, was er hatte erleiden müssen.
16
Oliver saß in seinem gewohnten Sessel und trank Brandy, während Polly ihm eine Auswahl ihrer Dirnen präsentierte. Und er fühlte …
Nichts. Sein Schwanz zeigte keinerlei Regung, und er verspürte nicht die geringste Begierde. Er empfand lediglich eine tiefe Abscheu vor sich selbst.
Seit wann sahen Pollys Huren eigentlich so … fade aus? Die Bordellwirtin tat alles, um ihn zufriedenzustellen, und bot ihm ihre besten Damen an, doch ihre Schmeicheleien, ihre kurvenreichen Körper und ihre erotischen Gesten blieben ohne Wirkung. Zum ersten Mal sah er die Unaufrichtigkeit ihres Lächelns und die Langeweile, die sie zu verbergen versuchten.
Und was noch schlimmer war: Er verglich sie mit Maria. Ihr Lächeln war niemals aufgesetzt. Er konnte ihr zwar nicht oft eins entlocken, aber wenn, dann war es ein großer Triumph für ihn, eben weil es echt war. Weil es von Herzen kam.
Was für ein Triumph war es schon, einer Hure ein Lächeln zu entlocken, wo sie es lediglich auf den Inhalt seiner Geldbörse abgesehen hatte? Nicht dass er jemals ernstlich geglaubt hätte, dass sie sich ohne das Geld darum reißen würden, mit ihm ins Bett zu gehen, aber in der Regel gelang es ihm, sich die Illusion so weit zu bewahren, dass er sich im Liebesspiel verlieren konnte. Versunken in seinem eigenen Leid hatte er ihren Sorgen und Nöten im Allgemeinen keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Doch nun sah er nichts anderes als das. Scheinbar von einem Tag zum anderen waren aus seinen verruchten Gespielinnen einfache Frauen mit einem schweren Leben geworden, die sich nur über Wasser halten konnten, indem sie die Bedürfnisse fremder Männern befriedigten. Seine Bedürfnisse.
Unwillkürlich kamen ihm Marias Worte in den Sinn. »Anständig und diszipliniert zu sein ist mühevoll«, hatte sie gesagt. »Böse zu sein bedeutet hingegen keinerlei Anstrengung. Man gibt einfach jedem Drang nach, wie unmoralisch er auch sein mag.«
Oliver kippte den Rest seines Brandys in der vergeblichen Hoffnung hinunter, dass der starke Alkohol Marias Worte aus seinem Kopf verbannen würde. Was wusste sie schon darüber? Und warum kümmerte es ihn überhaupt, was sie dachte? Es ging sie nichts an, was er tat, um seine Sorgen zu vergessen. Er bezahlte für sein Vergnügen, verdammt, und er bezahlte gut.
Während sein Gut Verluste erlitt. Während seine Pächter von morgens bis abends auf ihren Höfen ackerten. Während seine Bediensteten auf ihn angewiesen waren, was ihren Lebensunterhalt betraf, und seine Geschwister von ihm erwarteten, dass er sie alle rettete.
Ihm jagte ein kalter Schauer über den Rücken.
»Mylord«, sagte Polly, die auf der Armlehne seines Sessels saß, mit einem anzüglichen Lächeln. »Vielleicht brauchen Sie etwas Junges, Frisches, um Appetit zu bekommen.«
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm eine Jungfrau anbot. Er hatte immer höflich aber bestimmt abgelehnt, denn an dieser abstoßenden Seite des Gewerbes war er nie interessiert gewesen. Es handelte sich hierbei um Mädchen vom Lande, die in die Stadt kamen, um etwas von der Welt zu sehen, jedoch früher oder später dank cleverer Frauen wie Polly im Bordell landeten.
An diesem Abend widerte es ihn noch mehr an. Er dachte die ganze Zeit daran, wie schnell es geschehen konnte, dass auch eine Frau wie Maria ohne eigenes Verschulden in eine solche Lage geriet, denn der Grat zwischen einer ehrbaren und einer gefallenen Frau konnte unter Umständen sehr schmal sein. Das
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