Lord Stonevilles Geheimnis
sie um ihre Gunst, weil beide glaubten, die Probleme der Familie weitgehend lösen zu können, wenn einer von ihnen sie für sich gewann. Und da Oliver klargestellt hatte, dass er sie nicht heiraten wollte …
Er ballte die Hände zu Fäusten. Seine Brüder durften sie nicht haben. Hyatt durfte sie nicht haben. Er würde es nicht zulassen!
Und mit einem Schlag wurde ihm bewusst, welches Gefühl ihn umtrieb: Er war eifersüchtig. Allmächtiger, er war eifersüchtig auf seine Brüder!
Er hatte seine Freunde leiden sehen, und er hatte erlebt, wie sich seine Mutter vor Eifersucht verzehrt hatte. Er hatte es immer für verrückt gehalten, wie sehr diese Gefühlsregung sie vereinnahmt hatte. Keiner Frau war es je gelungen, diese verachtenswerte Empfindung in ihm zu wecken. Er hatte gedacht, er wäre immun dagegen.
Die Erkenntnis, dass er es nicht war und dass Maria einen solchen Einfluss auf seine Gefühle hatte, erschütterte ihn bis ins Mark. Er konnte es nicht bestreiten, denn die Eifersucht fraß an seinen Eingeweiden wie ein billiger Fusel. Er musste etwas dagegen unternehmen, und er musste seine Brüder von ihr fernhalten.
Aber wie sollte er das anstellen? Sie konnten ihr wenigstens eine ehrenhafte Beziehung in Aussicht stellen. Und er? Er bot ihr nur Schmach und Schande.
Und darin bestand sein Problem. Wenn er ihr mehr versprach, verurteilte er sie dazu, durch die gleiche Hölle zu gehen wie seine Mutter. Doch wenn er ihr weniger anbot und sie sich darauf einließ, dann lieferte er sie einem noch viel schlimmeren Schicksal aus.
Im Grunde konnte er also nur gewinnen, wenn er die Finger von ihr ließ. Aber das würde bedeuten, dass er zusehen musste, wie sie entweder jemand anderen heiratete oder ihre Erbschaft antrat und nach Amerika zurückkehrte. Und weder das eine noch das andere wollte er.
Er rieb sich unendlich müde das Gesicht. Diese irre Obsession raubte ihm seine ganze Kraft, obwohl er viel dringendere Probleme hatte, zum Beispiel die ständigen Geldsorgen. In der Stadt hatte er einfach die Augen davor verschlossen, dass er in Schulden versank, ohne an die Folgen zu denken.
Doch auf Halstead Hall wurde er ständig daran erinnert, dass er nicht allein unterging. Seine Familie ging mit ihm unter, wie auch die Bediensteten und die Pächter. Es lag an diesem verdammten Haus: Es zwang ihn dazu, sich an das Leben zu erinnern, mit dem er längst abgeschlossen hatte.
In seiner Jugend hatte ihn der Vater gelehrt, wie man den gesamten Besitz verwaltete, wie man Pachtverträge aufsetzte, wie man das Geld der Familie gut anlegte … wie man sich um alles kümmerte.
Er hatte sich geschworen, dass seine Mutter ihr Glück nicht umsonst geopfert haben sollte, damit sein Vater Halstead Hall halten konnte. Doch dann war jener verhängnisvolle Tag gekommen.
Oliver fluchte still vor sich hin. Er musste weg von diesem Ort, und zwar sofort!
Er ging raschen Schrittes zur Tür, riss sie auf und rief nach John. Als der Diener erschien, bellte er: »Lassen Sie meine Kutsche vorfahren. Ich will in die Stadt.«
John stutzte. »Dann sind Sie zum Dinner nicht hier, Mylord?«
»Nein, und zum Frühstück auch nicht, wenn ich es irgendwie verhindern kann.«
John stieg die Röte ins Gesicht, als ihm klar wurde, was die Worte seines Herrn bedeuteten. »Was soll ich Mrs Plumtree sagen, Sir? Und Miss Butterfield?«
Oliver bekam Gewissensbisse, doch er beachtete sie nicht. »Sagen Sie ihnen, was Sie wollen«, stieß er hervor. »Besorgen Sie mir einfach die gottverdammte Kutsche!«
»Ja, Mylord.« John eilte dienstbeflissen davon.
Dieses nüchterne Leben war einfach nicht auszuhalten. Oliver brauchte eine Nacht voller Ausschweifungen, um sich daran zu erinnern, wer er war – was er war. Erst dann konnte er seine Verlobungsfarce fortsetzen.
Und erst dann konnte er es schaffen, diesem törichten Verlangen nach etwas, das er nicht haben konnte, den Garaus zu machen.
Maria hatte sich mit aller Sorgfalt für das Abendessen zurechtgemacht, obwohl ihr bewusst war, dass sie es nicht hätte tun sollen.
Doch sie konnte den Schmerz in Olivers Stimme nicht vergessen, als er davon gesprochen hatte, dass ihre Güte und Tugendhaftigkeit ihn bezauberten.
Von Tugendhaftigkeit konnte wohl kaum die Rede sein, aber dass er sie bezaubernd fand, schmeichelte ihr. Doch über eine flüchtige Liebschaft hinaus war nichts von ihm zu erwarten. Soweit sie wusste, erregten schöne
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