Lord Stonevilles Geheimnis
Seidenhandschuhe betonten seine langen, schmalen Finger – jene Finger, die ihre Wange gestreichelt hatten. Du liebe Zeit, war es erst gestern gewesen? Es schien Maria eine Ewigkeit her zu sein, aber sie konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie zärtlich er ihr das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte.
Sie runzelte verärgert die Stirn. Wenn er solche Dinge tat, war es kein Wunder, dass ihm die Frauen in Scharen hinterherliefen. Und wenn er sie so ansah wie in diesem Moment, mit einem Verlangen, das er nicht einmal vor seiner grimmig dreinblickenden Großmutter zu verbergen versuchte, raubte er ihr geradezu den Atem.
Dieser vermaledeite Kerl! Sie würde sich weder den Atem noch das Herz oder sonst irgendetwas von ihm rauben lassen. Nicht nach dem vergangenen Abend.
Oliver trat ihr lächelnd entgegen. »Eine schöne Frau in einem schönen Kleid hat ein besonderes Accessoire verdient.«
Er zog eine Samtschatulle aus der Tasche.
Als er sie öffnete und eine bezaubernde Perlenkette mit diamantbesetztem Verschluss zum Vorschein brachte, setzte Marias Herz einen Schlag aus.
»Diese Kette gehört eindeutig zu diesem Kleid«, sagte er und hielt ihr die Schatulle hin. »Sie hat meiner Mutter gehört.«
Maria schaute verstohlen zu seinen Geschwistern, die alle völlig schockiert aussahen. Seine Großmutter schien vor Wut zu kochen.
»Ich denke«, sagte sie leise, »es ist nicht richtig …«
»Du bist meine Verlobte«, fiel Oliver ihr ins Wort. »Niemand nimmt Anstoß daran, wenn ich dir ein Geschenk mache.«
Ein Geschenk? Um Himmels willen, sie hatte es bestenfalls als Leihgabe betrachtet. »Aber es ist zu kostbar.« Außerdem wollte er sie nur dazu bringen, den vergangenen Abend zu vergessen.
»Meinst du nicht, ich hätte die Kette inzwischen verkauft, wenn sie tatsächlich so teuer wäre?«
Ein gutes Argument. Dennoch hatte sie sicherlich einen gewissen Wert. Und sie war von großer ideeller Bedeutung, weshalb es unter den gegebenen Umständen völlig absurd war, dass Oliver sie ihr schenken wollte. »Sie sollte an Minerva oder Celia gehen.«
»Oh, für mich ist sie viel zu mächtig«, sagte Celia leichthin, die sich überraschend schnell von ihrem Schreck erholt zu haben schien. »Ich sähe damit aus wie ein Huhn mit einem Anker um den Hals!«
»Und ich mag keine Perlen«, erklärte Minerva.
»Ihnen ist schon klar«, entgegnete Maria, »dass er nur versucht, sich meine Vergebung für seine … Sünden zu erkaufen, oder?«
Oliver erstarrte, und Minerva lächelte sie verschmitzt an. »Ein Grund mehr, das Geschenk anzunehmen. Er muss bezahlen. Was wiederum nicht bedeutet, dass Sie ihm vergeben müssen.«
»Vielleicht hältst du dich besser aus dieser Sache heraus, Minerva«, ließ sich Mrs Plumtree mit eisiger Stimme vernehmen. Als sich alle zu ihr umdrehten, fügte sie hinzu: »Es ist schließlich die Kette meiner Tochter. Wenn irgendjemand zu bestimmen hat, wer sie bekommt, dann bin ich es. Zumindest Miss Butterfield ist klug genug, das zu erkennen.«
Betretenes Schweigen breitete sich aus, und Maria spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Der vorwurfsvolle Blick, mit dem Mrs Plumtree ihren Enkel bedachte, zeigte deutlich, wie sehr es ihr missfiel, dass Oliver einer völlig unbedeutenden Person ein so wichtiges Familienerbstück schenken wollte.
Maria hatte in der vergangenen Woche gelegentlich das Gefühl gehabt, Mrs Plumtree betrachte sie inzwischen mit einem gewissen Wohlwollen, doch das hatte sie sich offensichtlich nur eingebildet.
»Die Kette gehört mir , Großmutter«, sagte Oliver barsch. Er nahm sie aus der Samtschatulle, trat hinter Maria und legte sie ihr um. »Und ich schenke sie, wem ich will.«
»Bitte, Oliver«, raunte Maria ihm zu, als sie die schweren Perlen an ihrem Hals spürte. »Ich möchte nicht, dass es meinetwegen Streit gibt.«
»Es gibt keinen Streit.« Er bot ihr seinen Arm und bedachte seine Großmutter mit einem finsteren Blick.
Maria schaute verstohlen zu Mrs Plumtree, doch die sah sie nicht einmal an. Sie war offensichtlich sehr entsetzt über Olivers unpassendes Geschenk. Aber warum kümmerte es sie überhaupt, was die alte Dame dachte? Es war ja nicht so, als wollte Oliver sie tatsächlich heiraten. Wenn Mrs Plumtree sie verachtete, war Oliver seinem Ziel schon ein gutes Stück nähergekommen, und sie hatte die Geschichte bald hinter sich.
Aber trotz allem war ihr nicht egal,
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