Lord Stonevilles Geheimnis
Erleichterung, mit jemandem darüber zu reden. Selbst ihre Tante und die Vettern zogen es vor, so zu tun, als wäre es nie geschehen. »Es war unendlich beschämend. Er vergaß einfach, nach Hause zu kommen, und wenn wir Geld für irgendetwas brauchten, musste ich zu ihm ins Bordell gehen.«
»Großer Gott.«
Sie sah Oliver in die Augen. »Ich habe mir geschworen, mich nie wieder in eine solche Lage bringen zu lassen. Deshalb bin ich auch sehr froh, mit Nathan verlobt zu sein. Er ist wohlerzogen und anständig. Er würde niemals ein Bordell besuchen.«
Olivers dunkle Augen funkelten. »Nein, aber er hat es fertiggebracht, Sie alleinzulassen und Sie damit Männern zum Fraß vorzuwerfen, die es tun.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Man kann auf verschiedene Art und Weise alleingelassen werden. Wenn der Ehemann sich ständig im Bordell herumtreibt, könnte er genauso gut irgendwo in Übersee sein. Es läuft auf das Gleiche hinaus.«
Er sah sie einen Moment lang bekümmert an, dann schaute er fort. »Meine Mutter hat meinen Vater nie aus dem Bordell geholt«, sagte er sonderbar emotionslos. »Aber sie wusste, dass er dort war. In den ersten Jahren haben sie deswegen gestritten, wenn er nach Hause kam. Er ist immer wütend davongestürmt, und sie hat stundenlang geweint.«
»Woher wusste sie, wo er war?«, fragte Maria im Flüsterton. Die Vorstellung, dass Oliver als kleiner Junge hatte mitansehen müssen, wie seine Eltern über solche Dinge stritten, brach ihr das Herz. Es war das erste Mal, dass er ihr gegenüber die Eheprobleme seiner Eltern erwähnte.
»Er roch nach billigem Parfüm und Frau, wenn er nach Hause kam. Das ist ein Geruch, den man nicht vergisst.«
Maria starrte ihn an. Als er morgens in aller Herrgottsfrühe vor ihrer Tür gestanden hatte, hatte er nach Alkohol gerochen, aber nicht nach Parfüm. Es war nur eine Nebensächlichkeit, doch zusammen mit dem, was Betty gesagt hatte, spendete es ihr ein wenig Trost.
»Ich habe mir immer gewünscht, ich könnte ihn davon abbringen«, fuhr Oliver verbittert fort. »Letzten Endes hat sie es dann selbst in die Hand genommen.«
Wollte er damit andeuten, dass seine Mutter seinen Vater vorsätzlich getötet hatte? Bisher war immer von einem tragischen Unfall die Rede gewesen.
»Wir geben schon ein merkwürdiges Gespann ab, nicht wahr?«, sagte Oliver und ließ seinen Blick über die anderen Paare auf der Tanzfläche schweifen. »Wir tanzen zu der närrischsten Musik, die jemals komponiert wurde, und während alle ringsum eifrig Smalltalk machen, reden wir über Bordelle und den Tod.«
»Es ist immerhin besser, als nie darüber zu reden, meinen Sie nicht?«
Sein Blick verfinsterte sich. »Sie klingen wie meine Großmutter.«
»Das stört mich nicht. Ich fange allmählich an, sie zu mögen.«
»Ich mag sie auch, verdammt, wenn sie mir nicht gerade das Leben zur Hölle macht.«
Maria sah ihn prüfend an. »Warum fluchen Sie in meiner Gegenwart eigentlich so viel? Andere Männer tun das nicht. Und in Gegenwart anderer Frauen fluchen Sie auch nicht, soweit ich es beurteilen kann. Warum?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete er. »In Ihrer Gegenwart kann ich ich selbst sein, nehme ich an. Und da ich ein unflätiger Dreckskerl bin …«
Maria legte den Finger auf seine Lippen. »Sagen Sie so etwas nicht! Sie sind nicht so schlecht, wie Sie sich immer darstellen.« Als sie merkte, dass die Leute wegen der intimen Geste zu ihnen hinübersahen, legte sie die Hand wieder auf seine Schulter.
»Dann haben Sie Ihre Meinung über mich also geändert?«, fragte er mit belegter Stimme und streichelte verstohlen ihre Taille.
»Sagen wir, ich bin bereit, im Zweifelsfall zu Ihren Gunsten zu entscheiden.«
Sie beendeten den Walzer schweigend und sahen sich die ganze Zeit unverwandt in die Augen. Marias Erregung wuchs. Jeder Tanzschritt schien sie einander näherzubringen, bis sie viel enger tanzten, als es der Anstand gebot. Doch das kümmerte sie nicht. Es war das pure Glück.
Aber dadurch änderte sich rein gar nichts: Zwischen ihnen gab es lediglich diese ungehörige Anziehung. Trotzdem ertappte sie sich dabei, wie sie sich seine Gesichtszüge einprägte und versuchte, das Gefühl in ihrer Erinnerung festzuhalten, wie seine Hand an ihrer Taille lag und sein Körper sich im Gleichklang mit ihrem bewegte.
Mit der anderen Hand hielt Oliver die ihre fest umfangen. Indem er zärtlich die Beuge
Weitere Kostenlose Bücher