Lord Tedric 01 - Lord Tedric
wußte, er konnte nicht mehr zurück.
Jania berührte mit der Hand seine Schulter. »Denk daran, nicht zu schnell aufzusteigen. Vielleicht befinden wir uns hier kilometerweit unter der Oberfläche, und die Steiggeschwindigkeit wächst mit jedem Meter, den man an Höhe gewinnt. Benutze die Handgriffe, halte dich dicht an der Schachtwand. Solltest du jedoch zu schnell aufsteigen und die Kontrolle über deinen Körper verlieren, versuche, dich zur gegenüberliegenden Schachtwand hinzuarbeiten, dann fängst du an, langsam zu fallen. Mach es wie ein Vogel, schwing deine Arme und strample mit den Füßen.«
»Ich werde daran denken.« Dann wandte er sich an die anderen: »Bestimmt selbst die Reihenfolge, in der ihr mir nachkommt. Keiner von euch betritt den Schacht, bevor ihr wißt, daß alles in Ordnung ist. Wenn das zutrifft, werde ich euch rufen oder schreien. Arbeitet der Schacht nicht, hört ihr von mir keinen Ton. Wir treffen uns an der Oberfläche.«
»Du bist ein Optimist«, knurrte Nolan.
Tedric wandte sich um, um ihnen die Hände zu schütteln, unterließ es dann aber. Diese Geste hätte zu sehr nach einem ›Lebewohl‹ ausgesehen, doch er wollte den Abschied so kurz wie möglich halten. Er nickte ihnen zu, stieg durch die Türöffnung und stand am Rand des gähnenden Abgrundes. Vorsichtig setzte er sich auf den Boden, stieß sich dann mit beiden Beinen von der Schachtwand ab und stürzte ...
Einen langen Augenblick – viel zu lang – geschah überhaupt nichts. Die abgestandene Luft in dem Schacht rauschte in seinen Ohren, er fühlte nichts weiter, als daß sein Körper in die bodenlose Tiefe stürzte. Er mußte seine ganze Beherrschung aufbieten, um nicht laut aufzuschreien, krampfhaft versuchte er, indem er weit seine Arme ausbreitete, seinen Körper in eine waagerechte Lage zu drehen, dem Luftwiderstand eine größere Angriffsfläche zu bieten. Noch immer geschah nichts.
Dann packte es ihn mit aller Gewalt. Das laute Rauschen heftig beschleunigter Luft ertönte und er begann aufzusteigen. Es war, als ob die sanfte Hand eines unsichtbaren Gottes erschienen sei, um ihn zu schützen. Er hob den Kopf und starrte nach oben, wo er über sich die rechteckige Öffnung der Tür erkannte. Er begann laut zu schreien, fuchtelte mit Armen und Beinen, dann war er vorbei. Es ging alles so schnell, daß er bezweifelte, ob die anderen ihn gesehen oder gehört hatten.
Doch sie hatten ihn gehört, wußten nun, daß sie bald gerettet sein würden.
Wild wirbelte Tedric durch die Luft. Während ihrer Flugausbildung auf dem künstlichen Planeten Nexus hatte er das Segelfliegen verabscheut, aber das hier war etwas anderes. Er benötigte keine Hilfsmittel, keinen Flugkörper aus Holz, Plastik und Segeltuch. Er flog wie ein Vogel, wie einer von Careys mythischen blauen Adlern, und das Vergnügen, das er dabei empfand, war mit nichts vergleichbar, das er früher kennengelernt hatte.
Als seine Steiggeschwindigkeit immer schneller wurde, als er bemerkte, daß er die Kontrolle über sich selbst verlor, arbeitete er sich näher an die Schachtwand heran. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, ohne Schwierigkeiten erkannte er die Hartgummigriffe unter den Türen. Er vollführte eine Körperdrehung, so daß er auf dem Rücken lag, und begann, als er den nächsten Haltegriff sah, heftig mit den Beinen zu strampeln. Der Luftstrom wirbelte seinen Körper wie bei einer Reckübung um die Stange, Tedric bekam sie zu fassen und hielt sich daran fest. Der Aufwind rauschte an ihm vorbei, einen Moment lang empfand Tedric das Geräusch als störend, doch dann wurde ihm bewußt, daß es im Grunde ein gutes Zeichen war. Der Schacht arbeitete weiter, also mußten sich Jania, Keller und Nolan auch schon auf dem Weg nach oben befinden. Bald würden sie alle frei sein.
Er überlegte kurz, ob er warten sollte, bis die anderen vorbeischwebten, entschied sich aber dann, um nicht noch mehr Verwirrung zu stiften, dagegen. Er ließ die Stange los, einen Moment lang trieb sein Körper, dann begann er zu steigen.
Tedric vollführte seinen Aufstieg nach einem gewissen Schema. Je höher er kam, je größer die Geschwindigkeit wurde, desto häufiger stoppte er und legte größere Pausen ein. Der Luftdruck beeinträchtigte sein Gehör, und er wußte, daß es seinen Tod bedeutete, wenn er das Bewußtsein verlor und zu schnell aufstieg. Das Vergnügen am freien Flug machte es nur noch schwieriger, die Pausen einzuhalten. Das Gefühl wirkte wie
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