Lords of Salem: Roman (German Edition)
Beine, zwischen denen die vertikale Linie des Kreuzes wie ein Schwanz herabhing. Der Schmerz war fast unerträglich. Sie spürte ihn, konnte ihn kaum aushalten, doch ihr Körper schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Im Inneren schrie und keuchte sie und versuchte, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Äußerlich war sie ruhig und gefasst, beinahe in einem meditativen Zustand, als sie das Zeichen in ihre Brust ritzte.
Das Tier hielt einen Moment inne und betrachtete sein Werk im Spiegel. Es lächelte. Sehr vorsichtig bohrte es mit der Spitze der Schere links und rechts des Querbalkens winzige Löcher in die Haut. Ihre Brust war nun schlüpfrig vor Blut, aber dank der dunkleren, klaren Umrisse konnte man das Symbol trotzdem deutlich erkennen. Sie sah, wie ihre Mundwinkel sich wieder zu einem Lächeln verzogen.
» Du gehörst jetzt zu den Lords«, flüsterte das Tier mit ihrer Stimme aus ihrem Mund dem Spiegelbild zu. Oder vielleicht war es auch das Spiegelbild, das ihr zuflüsterte.
» Maisie, wo bist du?«, hörte sie Jarrett aus dem anderen Zimmer rufen. » Kommst du zurück, oder was?«
Sie merkte, wie das Tier in ihr die Ohren spitzte. Es hatte Jarrett vergessen, doch nun, da es an ihn erinnert worden war, bekam es Hunger. Es leckte sich die Lippen.
» Ich komme, Schatz«, rief sie zurück. Oder genauer gesagt, das Tier in ihr.
Aber ihre Stimme oder die Art, wie das Tier sie benutzte, war irgendwie seltsam. Sie klang zu tief. Jarrett bemerkte den Unterschied.
» Alles in Ordnung?«, fragte er. Sie antwortete nicht. Stattdessen klappte sie die blutige Schere zu, packte fest den Griff und ging ins Schlafzimmer.
Da stimmt was nicht , dachte Whitey. Klar, es gab immer unterschiedliche Meinungen, ob etwas Top oder Flop war, besonders dann, wenn sie Musik von Bands aus der Gegend spielten und die Bands ihre Freunde überredeten anzurufen, um sie zu unterstützen, aber es klaffte nie so weit auseinander wie dieses Mal. Entweder liebten die Leute den Song abgöttisch, oder sie hassten ihn und hätten die Lords am liebsten ans Kreuz genagelt. Nichts dazwischen.
Und es waren immer noch Leute in der Leitung, die darauf warteten, ihre Meinung kundzutun.
Er nahm den nächsten Anruf entgegen. » Top oder …«, begann er und verstummte dann.
Die Frau am anderen Ende weinte. Scheiße , dachte er, eine Irre , und streckte die Hand aus, um sie aus der Leitung zu werfen.
» Bitte, spielt das noch mal …«, schaffte sie noch zu sagen, ehe er die Verbindung trennte. » Ich muss es noch mal hören.«
Scheiße , dachte er erneut, diese Stimme, diese Sehnsucht darin. Sie hatte den Song nur ein einziges Mal gehört, aber sie schien schon süchtig danach. Weinte sie aus Enttäuschung, weil das Stück zu Ende war, oder aus Freude, weil sie das Glück gehabt hatte, es zu hören? Offenbar krochen alle Verrückten heute Nacht aus ihren Löchern.
» Die Mädels lieben es«, sagte Whitey. Ja, so war es. Jede Frau, die anrief, war begeistert. Das war seltsam. Alle Männer, die anriefen, hassten es. Das war ebenfalls seltsam.
» Ich glaube, es ist ein Girlie-Hit«, sagte Heidi. Girlie-Hit , dachte er. Nicht schlecht. Das musste er sich merken, um es selbst irgendwann zu verwenden.
» Was soll man sagen?«, meinte Herman. » Es ist offenbar das neue ›Sexual Healing‹.«
Allerdings ist der Sound ein bisschen anders , dachte Whitey. Viel enervierender – wohl kaum ein Schlafzimmersong, es sei denn, man war Jack the Ripper.
Er stellte den nächsten Anruf durch. Lass es eine Frau sein, die das Stück hasst , sagte er sich. Um die Serie zu beenden. Und es war tatsächlich eine Frau, aber sie hasste es nicht. Sie liebte es wie alle Frauen vor ihr. Irgendwie bescheuert , dachte er, und ein bisschen unheimlich , dann nahm er den nächsten Anruf entgegen.
Er hatte sich umgedreht und lag nun auf der Seite. Er war noch immer nackt, aber er warf verstohlen einen Blick auf sein Handy; sie hasste es, wenn er das nach dem Sex tat. Sieh her! , flehte sie ihn stumm an. Sieh, was mit mir passiert ist, und renn weg.
Doch er sah nicht zu ihr. Er beschäftigte sich weiter mit seinem Handy, während sie langsam herüberging, ins Bett stieg und sich von hinten an ihn schmiegte.
» Mmm«, sagte er. » Noch eine Runde?«
Sie entgegnete nichts. Ihr Mund küsste ihn auf die Schulter und den Hals und hinterließ dabei blutige Abdrücke.
» Das fühlt sich gut an«, sagte er. Er bog den Rücken durch und rieb sich mit den Schulterblättern an ihren
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