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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geizige Kerl war der Meinung, das Geld für den Transport seines Sohnes sparen zu können, und so gab er dem Boten die Nachricht mit auf den Rückweg, er werde den Leichnam in Kürze abholen lassen. In Wahrheit aber dachte er gar nicht daran. Sein Weib, die Mutter des Toten, war nicht mehr am Leben, und von seinen anderen Söhnen wagte keiner, ihm zu widersprechen, aus Furcht, nach dem Tod des Alten nichts von all dem Reichtum abzubekommen. So blieb der Leichnam also in der Gruft liegen, fern der Heimat im Badischen, während der Wirt, in dessen Gas t hof der Kerl verreckt war, vergeblich auf den Abtran s port und seine Auslösesumme wartete.
    Dann, nach zwei, drei Monden, geschah etwas So n derbares. Tische begannen in dem Wirtshaus zu beben und umherzurücken, dann schlugen wie von Geisterhand alle Fässer leck. Erst zerbrach ein einzelnes Fenster, ein paar Tage später alle übrigen. Ein Feuer im Dachstuhl wurde gerade noch gelöscht, bevor das ganze Anwesen in Flammen aufgehen konnte. Der Wirt, ein frommer, ehrlicher Mann, wandte sich a n seinen Pfa f fen, aber der wusste keinen Rat. Man kam lediglich überein, dass es wohl der Geist des Toten war, der aus Wut über den Geiz seiner Familie im Gasthof umging. Erst erwog man, den Leichnam einfach zu verbrennen, doch das, so entschied man, hätte vielleicht den Zorn des Geistes auf immer und ewig über das Haus gebracht! Nein, es gab nur einen Weg: Der Leichnam musste nach Hause, um in Heima t erde bestattet zu werden.«
    Ailis war so gespannt auf den Ausgang der Geschic h te, dass sie beinahe vergaß, sich zu fragen, wann wohl die Naddred ins Spiel kamen.
    »Nun begab es sich«, sprach Jammrich weiter, »dass auch ich eine Nacht in jenem Wirtshaus verbrachte, fre i lich ohne zu wissen, was dort vorging. Voller Besche i denheit muss ich eingestehen, dass mein guter Ruf mir mancherorts vorauseilt, und so kam es, dass der Wirt mich um Rat fragte.«
    Buntvogel kicherte spöttisch. »Da ist er ja an den Richtigen geraten.«
    »In der Tat«, sagte Jammrich ernsthaft, »denn natü r lich erbot ich mich gleich, den in Not geratenen Leuten hilfreich zur Seite zu stehen. Erst bat ich den Wirt, eine Liste aufzustellen von allen Dingen, die zu Bruch gega n gen waren, außerdem von allen Verdiensten, die ihm durch den ruinierten Ruf seines Hauses entgangen waren. In meinem Auftrag ließ er das Papier vom Vorsteher der Stadt mit Siegel und Namenszug beglaubigen. Dann nahm ich das Dokument an mich und machte mich über die Spie l mannswege auf zur Familie des Toten. Glaubt mir, es verschlug mir den Atem, als ich all des Reichtums ansichtig wurde, in dem diese Leute lebten wie die M a den im Speck! Sogleich trat ich vor den Patriarchen, e i nen wahrlich unangenehmen Menschen, so viel lasst mich sagen. Ich unterbreitete ihm die Liste des Wirtes u nd bat ihn höflich, die Kosten, die durch das Zerst ö rungswerk seines toten Sohnes entstanden waren, umg e hend zu begleichen. Gewiss könnt ihr euch vorstellen, wie vergrätzt der alte Sack da r über war, mehr noch, als ich ihm erklärte, dass der Betrag sich in Windeseile ve r do p peln und verdreifachen könne, falls der Leichnam nicht umgehend abgeholt und besta t tet werde. Denn mit jedem Tag, der verging, zerbrachen weitere Krüge und Tische im Wirtshaus, neue Fenster zersprangen und T ü ren barsten. Da wurde der Alte ganz verzweifelt, jamme r te steinerweichend und rechnete mir vor, wie viele Tage es mindestens dauern würde, ehe der Tote geholt werden könne, und was ihn diese Verzögerung kosten werde. Obgleich meine Reise auf den Spielmannswegen nicht einmal eines Nachmittages bedurft hatte, würde ein Ka r ren auf der Straße mehrere Tage brauchen – und jeder Tag trieb die Rechnung höher und höher.
    Ihr wisst, ich kann einen reichen Mann nicht leiden sehen, und so bot ich ihm meine Dienste an. Ich ve r sprach ihm, den Leichnam binnen zweier Tage herbeiz u schaffen, vorausgesetzt, er zahle dem Wirt den ausst e henden Betrag und mir ein gewisses Süm m chen, das mich für meine Bemühungen entschädige. Er war, ihr ahnt es schon, nur zu gerne bereit, sich auf diesen Handel einzulassen. Geschwind unterzeichnete er einen Schul d schein, der ihn verpflichtete, den Wirt fünf Jahre lang mit allem Nötigen zu beliefern, denn der Alte hatte seinen Reichtum durch den Handel mit edlen Früchten, Weinen und allerlei teuren Süßspeisen gescheffelt, Dinge, mit deren Hilfe der Wirt den Ruf seines Hauses innerhalb weniger Wochen

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