Loreley
geschmiedet hast, E r land. Hör bitte auf, mich anzulügen.«
Wenn sie ihm je einen Grund gegeben hatte, wütend auf sie zu sein, so übertraf di e ser Moment gewiss alle anderen. Sie hatte ihren Lehrherrn der Lüge bezichtigt. Jeder andere hätte sie auspeitschen und davonjagen la s sen.
Doch Erland zuckte nicht einmal, als sie die Worte aussprach. Stattdessen sagte er sehr ruhig: »Ich kann dir nicht mehr sagen als das, was ich weiß. Und ich schwöre dir, ich lüge dich nicht an. Was du gehört hast, war nur das Echo. Das Echo vom Lurli n berg.«
Er stand auf und trat zurück an seine Esse, um mit der Arbeit fortzufahren. Dort drehte er sich noch einmal um und deutete mit ausgestrecktem Arm auf das Gitter über der Tür. »Der Brunnen auf dem Berg ist vergiftet«, sagte er. »Er wurde schon vor Jahren verschlossen. Irgendwer hat das Gitter zerstört, und daraufhin gab man mir den Auftrag, ein neues anzufertigen. Die Pläne dazu bekam ich vom Grafen. Das alte Gitter hängt dort oben, um mich daran zu erinnern, dass es wichtig ist, immer nur die beste Arbeit zu leisten – selbst wenn es um so etwas einfaches geht wie ein Gitter für einen giftigen Bru n nen.« Damit griff er nach dem Hammer, nahm das gl ü hende Eggenblatt aus dem Feuer und schlug mehrfach mit aller Kraft darauf ein.
Die Schläge schmerzten in Ailis empfindlichen Ohren, a ber mehr noch schmerzte sie die Gewissheit, dass es nun überhaupt niemanden mehr gab, dem sie vertrauen kon n te.
Fee stand am Fenster und bürstete ihr langes Haar. Sie blickte hinab in den Burghof und sah Ailis zu, wie sie hölzerne Wassereimer vom Brunnen zur Schmiede trug, einen nach dem anderen. Sie wirkte angespannt und m ü de, Ringe lagen unter ihren Augen, so dunkel, dass Fee sie selbst von hier oben aus erkennen konnte.
Es tat Fee Leid, was zwischen ihnen geschehen war. Es verging kaum ein Tag, an dem sie Ailis’ Gesellschaft nicht vermisste. Doch das Mädchen dort unten im Hof war nicht mehr dasselbe, mit dem Fee einst gespielt und gescherzt hatte. Die neue Ailis mit ihrem kurz geschor e nen Haar hatte wenig mit der alten gemein. Sie lachte nicht mehr und kümmerte sich nicht um das, was man hinter ihrem Rücken über sie munkelte. Dass sie undan k bar sei, war noch das Freundlichste, was viele über sie zu sagen hatten. Manches gehörte fraglos ins Reich der E r findung, etwa die gehässigen Gerüchte, dass sie ihre Mutter geschlagen habe; Fee kannte sie besser, als dass sie solchem Gerede Glauben geschenkt hätte. Ailis galt als verschlossen und eigenbrötlerisch, als jemand, der sich für etwas Besseres hielt als alle anderen. Dabei konnte davon doch spätestens seit dem Tag, an dem sie sich von Fee losgesagt hatte, keine Rede mehr sein.
Früher, als Ailis ihr blondes Haar noch so lang getr a gen hatte wie Fee, hatten Gäste auf der Burg die beiden oft für Zwillinge gehalten, so groß war ihre Ähnlichkeit gewesen. Tatsächlich sah Fee, wenn sie sich ihrer frühe s ten Kindheit entsann, in Ailis eine gleichaltrige Schwe s ter. Ailis war immer um sie gewesen, so lange sie sich erinnern konnte. Der Gedanke, dass sie diese Schwester verloren hatte – ganz gleich ob blut s verwandt oder nicht-, tat ihr immer noch weh.
Auch von der Ähnlichkeit der beiden war nur wenig geblieben. Während Fee immer noch das zarte, zerbrec h liche Edelfräulein war, der Traum aller Knappen, die hofften, einmal als Ritter eine Prinzessin freien zu dü r fen, hatte Ailis sich in den letzten Monden zu einer dra h tigen jungen Frau entwickelt. Ihre Arme und Beine w a ren musk u löser als die der meisten Frauen auf Burg Rheinfels, ihre Züge härter, beinahe unte r kühlt. Fee war überzeugt, dass Ailis einmal eine sehr schöne Frau we r den würde, auf eine herbe, bestimmende Art, während sie selbst immer das zierliche Burgfräulein bleiben würde, der Schmuck aller Rittersäle und Königsbankette. Oft genug hasste sie sich selbst für ihr puppenhaftes Äußeres, und in solchen Momenten spürte sie Neid auf Ailis.
Aber was würden die Leute wohl sagen, würde Fee den Wunsch äußern, harte A r beit zu leisten, wie Ailis sie in der Werkstatt des Schmiedes tat? Ihr Onkel würde sie auslachen, ihre Tante erbost den Kopf schütteln, und dann würde man sie nur noch eiliger von hier fort in die Seidenkissen des Königshauses treiben. Und wenn Fee sich selbst gegenüber ehrlich war, musste sie sich eing e stehen, dass sie für Aufgaben wie jene, die Ailis zu b e wältigen hatte,
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