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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tals.
    Fee zügelte ihr Pferd und wartete, bis Ailis’ Stute au f geschlossen hatte. »Das war ein Dorf. Es ist abgebrannt, schon Vorjahren.«
    »Das ganze Dorf?«
    »Sieht so aus.«
    »Daran kann ich mich gar nicht erinnern«, wunderte sich Ailis. Gewiss hätte sich die Nachricht eines solchen Unglücks auf der Burg herumgesprochen.
    Fee beschattete die Augen mit ihrer behandschuhten Rechten. »Wir waren damals noch Kinder«, sagte sie schulterzuckend.
    Das Gewirr schwarzer Balken unten im Tal übte e i ne sonderbare Anziehungskraft auf Ailis aus. Windh o sen wirbelten Schnee von den Baumkronen, weiß und fu n kelnd tanzten sie wie Geister über dem Wald. Der kre i sende Bussard entdeckte etwas am Boden der Lic h tung, schoss steil herab und verschwand hinter den Bäumen. Ailis sah ihn nicht wieder auftauchen.
    »Warum wurden die Häuser nicht wieder aufgebaut?«, fragte sie.
    Fee lächelte, aber es lag keine große Heiterkeit darin. »Du weißt doch, wie die Le u te sind.«
    »Wie sind sie denn?«, fragte Ailis ehrlich verwirrt.
    »Tanzt ihnen der rote Hahn auf dem Dach, suchen sie die Schuld gleich beim Te u fel.«
    Ailis sah Fee von der Seite an und betrachtete ihr fein geschnittenes Profil. Wie ein Giftpfeil durchfuhr sie der Neid: Vor dem weißen Panorama der Winterlandschaft war Fee beinahe schmerzhaft schön.
    »Du redest wie dein Onkel«, bemerkte sie düster.
    Fee schaute sie an. »Ja, vielleicht.« Es klang ein wenig traurig.
    Ailis löste sich von ihrem Anblick und sah wieder hinab i ns Tal. »Der Teufel also?«, fragte sie zwe i felnd.
    »Es soll nicht der Teufel selbst gewesen sein, sondern etwas, das diese Leute mi n destens ebenso fürchten.« Fee schnitt eine Grimasse, hielt sich die Zeigefinger wie Hörner vor die Stirn und lachte. »Kobolde, sagen sie. Und Waldgeister. Ein paar Elfen, die auf Schabernack aus waren.«
    Ailis grinste. »Das sind doch Märchen.«
    »Meine Tante meint, Märchen sagen immer die Wah r heit.«
    »Dass gerade sie das meint, wundert mich nicht. Bei dem, was man über sie redet.«
    Fee ließ sich nicht beirren. »Sie sagt, alles, wovon die alten Märchen erzählen, ist die Wahrheit. Nicht, weil sie behaupten, dass es Drachen wirklich gibt, sondern weil sie einem zeigen, dass man Drachen besiegen kann, selbst die größten und schrecklich s ten.«
    »So was sagt deine Tante?« Ailis verzog anerkennend das Gesicht. »Klingt klug.«
    »Sie ist vielleicht eine Hexe, aber sie ist nicht dumm.«
    »Sie wäre bestimmt gerührt, wenn sie dich hören könnte.«
    »Bei ihr bin ich mir da nie ganz sicher.«
    »Dass sie gerührt wäre, oder – «
    »Dass sie zuhört. Sogar jetzt. Oder weißt du, was sie wirklich in ihrer Kammer tut, wenn sie allein ist und man trotzdem mehr als eine Stimme hinter ihrer Tür hört?«
    Ailis rückte sich unruhig im Sattel zurecht. »Frag die Alten. Sie können dir eine Antwort darauf geben.«
    »Gerede«, sagte Fee abfällig, »nichts als Gerede. Ein i ge von denen würden meine Tante am liebsten im Bur g hof brennen sehen.«
    »Du hast gerade erst selbst gesagt, dass sie eine Hexe ist.«
    »Das habe ich anders gemeint, das weißt du.«
    Ailis seufzte. »Vergiss deine Tante. Lass uns runter zu dieser Lichtung reiten. Ich will mir das ansehen.«
    Sie versuchte, abenteuerlustig zu klingen, aber sie ha t te selbst das Gefühl, dass ihr das gründlich misslang. Sie fragte sich, ob es wirklich ihr eigener Wille war, der sie zu solchen Entscheidungen hinriss. Sie war gewiss nicht feige, aber Leichtsinn war ihr ebenso fremd. Falls ta t sächlich Kobolde und Elfen das Dorf niedergebrannt ha t ten, war e s gewiss nicht ratsam, Bekanntschaft mit ihnen zu schließen.
    Fee schienen die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen. »Wir können nicht dahin«, sagte sie und fügte dann schnell hinzu: »Die Pferde – «
    »Haben es bis hierher geschafft«, unterbrach Ailis sie, »da schaffen sie auch noch den Rest.«
    »Du bist verrückt.«
    Ailis hob lächelnd eine Augenbraue. »Wer legt sich denn zu fremden Männern ins Bett, du oder ich? Und nun sag mir noch einmal, wer von uns beiden verrückt ist.«
    »Das war nicht – «
    Mehr verstand Ailis nicht mehr, denn sie hieb ihrer Stute die Stiefel in die Flanken und preschte in einer Wolke aus Eiskristallen den Hang hinab. Die Oberfläche des Schnees war gefroren, und so kam das Pferd schne l ler voran als Ailis befürchtet hatte. Sie schaute nicht z u rück, aber sie hoffte von ganzem Herzen, dass Fee ihr folgte. Die

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