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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihren Vater zu denken. Zwei Tage, in denen sie allen anderen Bewo h nern der Burg aus dem Weg ging, sogar Ailis, nur damit niemand sie auf den rätselhaften Besucher ansprach.
    Er hielt sich seit seinem Eintreffen in seiner Kammer auf, hinter verriegelter Tür, und war für niemanden zu sprechen. Fees Mühen, ihn zu vergessen, waren verge b lich, natürlich, aber sie hätte es nicht ertragen, mit i r gendwem darüber reden zu müssen, am wenigsten mit ihrer Tante, die mehrfach den Versuch unternahm, sie in ihrer Kemenate zu besuchen.
    Am Abend des zweiten Tages aber wurde Fee klar, dass sie sich genauso aufführte wie ihr Vater, und das gab ihr die Kraft, ihren verletzten Stolz zu überwinden. Sie verließ ihr Gemach, streifte durch die Gänge der Burg, ließ sich im Hof und in der Küche sehen, entzog sich aber jedem Gespräch durch eilige Ausreden. Sie betrat sogar Erlands Werkstatt, was sie selten tat, erntete von dem Schmied nur einen mürrischen Seitenblick, sah aber sogleich die Erleichterung in Ailis’ Augen.
    Draußen wurde es bereits dunkel, doch gerade heute gab es in der Schmiede viel zu tun, und Erland weigerte sich, sein Lehrmädchen ziehen zu lassen – nicht, bevor sie nicht ein halbes Dutzend weiterer Schwertgriffe mit Darm umwickelt und einen beso n ders kunstfertigen Dolch für den Grafen persönlich geschärft hatte. Ailis wollte prote s tieren, aber Fee winkte ab und verabredete sich mit ihr für den nächsten Tag.
    Immerhin, ein neuer Anfang war gemacht, und Fee wurde klar, dass es im Grunde keine Bedeutung hatte, was ihr Vater tat oder dachte. Ihr Leben ging weiter wie bisher, ob er nun dort oben in seiner Kammer saß oder nicht. Sollte er doch grübeln, wenn ihm der Sinn danach stand. Sollte er tun, was er wollte – schmollen, trauern, vor Wel t schmerz vergehen. Ihr war es gleichgültig.
    Ja, dachte sie, gleichgültig! Es war ein großartiges G e fühl, diese Freiheit in sich zu entdecken, das zu denken, was sie für richtig hielt, egal, wer dieser Mann in der Kammer auch war. Ob ihr Vater oder ein vollkommen Fremder, es berührte sie nicht mehr.
    Sie wollte zurück in ihre Kemenate gehen, vielleicht eine Stickerei beenden, vie l leicht auch einfach nur ein wenig dasitzen und hinaus über die abendliche Winte r landschaft schauen, als ihr auf dem Gang ein Bedienst e ter entgegenkam.
    »Fräulein Fee«, hielt er sie zurück, als sie an ihm vo r beigehen wollte, »ich habe Euch gesucht.«
    »Was gibt es?«
    »Euer Vater schickt mich. Er will mit Euch sprechen.«
    Das war nicht gerecht. Einfach nicht gerecht. Was dachte er sich dabei? Gerade erst hatte sie sich abgefu n den mit seiner Ablehnung und Halsstarrigkeit. Worüber, zum Teufel, wollte er nur mit ihr reden? Darüber, dass sie ihr Haar anders tragen sollte, damit sie ihrer Mutter noch ähnlicher sah?
    Sie schickte den Diener fort, betrat ihre Kammer und machte sich an der Wasse r schüssel frisch. Dann kämmte sie ihr Haar, rötete ihre Wangen und Lippen mit dem Saft zerstoßener Rosenblüten und legte ein schlichtes, aber kostbares Geschmeide aus Gold um ihren Hals.
    Das alles tat sie nicht, um ihm zu gefallen – ganz im Gegenteil, sie wollte ihm mit jenen Waffen gegenübertr e ten, die die Natur ihr geschenkt hatte. Sie betonte ihre A n mut, das Edle ihrer Erscheinung, und sie nahm sich vor, ruhig, klar und betont zu sprechen. Sie war als Mü n del eines Grafen erzogen worden, und diese Eigenscha f ten waren es, die sie blind beherrschte. Wenn ihr Vater sich eine Tochter in Reithosen, mit aufgeschürften Ellb o gen und Schwielen an den Fingern wünschte, sollte er sie anderswo suchen.
    Fee war jetzt ganz sie selbst: das Edelfräulein, die Nichte des Grafen Wilhelm von Katzenelnbogen, bald vielleicht schon eine Dame bei Hofe oder die Gemahlin eines Ritters – und ganz gewiss nicht die Tochter eines Herumtreibers, eines gekränkten Dummkopfs, der sich wunderte, dass nach sechzehn Jahren Abwesenheit in seiner Heimat nicht mehr alles so war, wie er es zurüc k gelassen hatte. Entschuldige, Vater, dass ich größer g e worden bin! Verzeih, dass ich kein Kind mehr bin und dass sogar Ritter um meine Hand anhalten! Verzeih dies und alles andere, das dir nicht gefällt, aber lass mich bi t te, bitte in Frieden mit dem, was du darüber denken magst! Ve r schwinde am besten ebenso plötzlich von hier, wie du aufgetaucht bist.
    Sie verließ ihre Kammer und das Weiberhaus, ging mit äußerster Ruhe über den Hof und hinüber zum Haupthaus. Viele

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