Loreley
wurde ermo r det?«, fragte sie langsam.
»Nicht ermordet. Wenigstens nicht mit Dolch oder Schwert. Aber als die Feenkön i gin ein Opfer verlangte, gab man ihr deine Schwester. Es hätte ebenso dich tre f fen können. Du hast Glück gehabt.« Er schnaubte abfä l lig. »Niemand war da, der euch hätte schützen können.« Plötzlich schien er in sich zusammenzusinken. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, als könne er kaum noch auf seinen Füßen stehen. »Ich war nicht da, um euch zu schützen.«
Nur eine Person, die Fee kannte, kam infrage, etwas derartiges zu veranlassen. Nur eine behauptete von sich, mit Geistern, Elfen und Feen zu sprechen.
Er kam ihrer Anschuldigung zuvor. »Deine Tante hat die Bedingungen des Pakts ausgehandelt. Heute sagt sie, sie hätte keine andere Wahl gehabt.« Er barg sein Gesicht in beiden Händen und massierte seine Lider, so als könne er damit die schrecklichen Bilder aus seinen Gedanken tilgen. Dann, als er Fee aus geröteten Augen ansah, fügte er hinzu: »Und ich glaube sogar, sie hat Recht.«
»Du verteidigst sie auch noch?«
»Ich kenne die Gefahr, die vom Feenreich ausgeht.«
»Aber Feen und Kobolde und Geister … das sind doch – «
»Hirngespinste? Leere Drohungen für ungezogene Kinder? O nein, Fee, denk über mich, was du willst, aber über eines sei dir immer im Klaren: Deine Tante weiß genau, wovon sie spricht. Sie und ich, wir haben uns einmal gut verstanden. Vielleicht, weil wir beide die Wahrheit kannten.«
Fee wich einige Schritte zurück. Sie stieß mit den W a den gegen die Bettkante und setzte sich auf die Decke.
»Was ist geschehen?«, wollte sie wissen. »Und, bitte, von Anfang an!«
»Es begann vor … ich weiß nicht, vielleicht vor zwa n zig Jahren. Auf jeden Fall, kurz bevor ich deine Mutter zur Frau nahm. Die Leute aus dem Dorf, vor allem die Fischer und Waschweiber, erzählten, sie hätten sonderb a re Gestalten gesehen. Elfen, sagten einige, Kobolde und Teufel, meinten die anderen. Ich war damals kaum älter als du heute, und ich n ahm mir vor, einige dieser Wesen zu beobachten, vielleicht sogar eines zu fangen. Was wusste ich schon über sie? Nur das, was sich die Alten hinter vorgehaltener Hand erzählten oder hin und wieder, wenn sie genug Met und Wein getrunken hatten, am K a minfeuer preisgaben. Keine Märchen, sondern Überlief e rungen, schon durch Dutzende, Hunderte Münder g e wandert, immer ein wenig mehr ausgeschmückt, ein w e nig weiter verfälscht. Aber es hat diese Wesen damals gegeben und es gibt sie auch heute noch.«
»Hast du sie denn gesehen?«
»Kein einziges. Und wenn doch, dann habe ich es nicht erkannt. Deine Tante aber besitzt das Talent, zu ihnen zu sprechen. Sie rief Titania an und bat sie um Hi l fe, als eines Tages ein paar abgelegene Höfe, schließlich sogar ein ganzes Dorf in Flammen aufgingen. Alle, die überlebten, waren sich einig, dass es keine Menschen gewesen waren, die diese Feuer gelegt hatten. Man hatte kleine, dürre Umrisse gesehen, Kreat u ren mit Fingern so lang wie sie selbst, andere mit geschwungenen Hörnern, mit Bock s füßen und Libellenflügeln. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon fort, wenige Monde nach deiner Geburt. Vielleicht hätte ich verhindern können, was mit deiner Schwester g e schah.« Er schlug die Augen nieder und starrte zu Boden. »Aber wahrscheinlich hätte ich mich gefügt wie all die anderen, die davon wussten.«
»Du hättest deine Tochter geopfert? Einer … einer Teufelin?« Tränen schossen Fee in die Augen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
»Titania ist keine Teufelin. Sie ist die Königin der Feen und Geister, sie gebietet über alles, was jenseits unserer Welt existiert. Sie herrscht über Faerie, und sie bestraft all jene, die von dort ausbrechen und unter den Menschen ihr Unwesen treiben.«
»Faerie ist – «
»Das Feenreich. Seine Tore sind verschlossen und werden von mächtigen Wächtern behütet. Und doch g e lang damals einigen der Übertritt in unsere Welt, gleich hier, auf unseren Ländereien.«
»Und der Preis, den Titania verlangte, um sie zurüc k zurufen, war das Leben eines Kindes? Warum, um Hi m mels willen?«
»Sie hat diesen Preis gewiss nicht unbedacht gewählt. Und sie hat nicht das Leben des Mädchens gefordert. Herrscherblut musste in seinen Adern fließen, und wenn sie es nur hätte töten wollen, wäre ihr gewiss auch jedes andere Mädchen recht gewesen. Titania verlangt keine Blutopfer, zumindest habe ich nie davon
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