Loreley
Kleidung trug – lederne Reithosen und ein dunkelgrünes Wams, denn einen Rock besaß sie nicht. Fee hatte ihr einmal angeb o ten, sich eines ihrer edlen Kleider als Geschenk auszus u chen, doch Ailis hatte abgelehnt. Sie hätte sich darin nicht wohl gefühlt, und auch ihrem Stand als Lehrmä d chen eines Schmiedes wäre es schwerlich angemessen gewesen.
Fee warf ihr ein verschwörerisches Lächeln zu, aber es wirkte fahrig, so als b e schäftigten sie in Wahrheit ganz andere Gedanken. Ailis erwiderte die Geste mit einem angedeuteten Schulterzucken; es ärgerte sie ein wenig, dass ihre Freundin sie derart im Ungewissen ließ.
Die Gräfin beobachtete den Auftritt ihrer Nichte mit einer hochgezogenen Auge n braue, nicht missbilligend, vielmehr verwundert über den feierlichen Aufputz.
Fee nahm ihren Platz ein, drei Stühle von Ailis en t fernt. Ihr Vater saß ihr genau g e genüber. Er musterte sie neugierig, sagte aber nichts. Wie Ailis schien er abzuwa r ten, bis Fee ihr Verhalten von sich aus erklärte.
Graf Wilhelm sprach das Tischgebet. Ailis entging keineswegs, dass die Gräfin sich weder dem gemeins a men ›Amen‹ anschloss, noch das Kreuzzeichen schlug. Niemand störte sich daran.
Das Gespräch bei Tisch verlief schleppend und wurde von Nichtigkeiten bestimmt. Der Graf erzählte von neuen Pferden, die aufgrund des hohen Schnees nicht eingeri t ten werden konnten, und sein Bruder bot seine Hilfe an, da er, wie er sagte, einige Erfa h rung in derlei Dingen habe. Die Gräfin warf immer wieder verstohlene Blicke zu Fee hinüber, die schweigend ihre Mahlzeit einnahm. Sie aß wenig, als hätte sie in Wahrheit keinen Hunger und wolle nur höflich sein. Auch Ailis brachte kaum e i nen Bissen he r unter, so aufgeregt war sie.
Das Mahl neigte sich dem Ende entgegen, ohne dass Fee ein einziges Wort verloren hatte. Dann aber schien sie sich plötzlich ein Herz zu fassen. Sie legte ihren hö l zernen Löffel mit einem vernehmlichen Laut neben ihrer Schale ab und ließ ihren Blick durch die Runde schwe i fen, vorbei an Ailis, ihrem Vater und der Gräfin, bis sie schließlich den Grafen ansah.
»Onkel«, sagte sie, »ich habe eine Bitte.«
»Dann sprich sie aus, mein Kind«, sagte er gönnerhaft. Seine Ruhe war so betont wie unecht, er brannte ebenso vor Neugier wie alle anderen. Ailis dachte, dass es ein großer Triumph für Fee sein musste, die Älteren in so l cher Unruhe zu sehen.
»Ich möchte, dass du einen Boten ausschickst. Noch heute, und zwar auf dem schnellsten Pferd im Stall.«
Ailis konnte ihren Blick nicht von der Freundin ne h men. Jede Regung ihrer Lippen, jedes Beben ihrer festg e schnürten Brüste schien ihr ein geheimes Zeichen zu sein, nur für sie allein bestimmt. Aber warum verstand sie nicht, was Fee ihr damit sagen wollte? Oder entspra n gen solche Vertraulichkeiten nur Ailis’ Wunschdenken?
»Wohin soll ich den Boten denn senden?«, fragte der Graf.
Fees Tonfall war fest, beinahe trotzig. »Zu Ritter Baan von Falkenhagen. Ich will ihn wissen lassen, dass ich gedenke, sein Angebot anzunehmen.«
»Welches Angebot?«, fragte die Gräfin, aber in ihren Augen stand jähes Begreifen.
»Ritter Baan hat um mein Hand angehalten. Mit E u rem Segen möchte ich seine Frau werden.«
Fees Vater saß da wie versteinert, während sich der Graf und die Gräfin einen uns i cheren Blick zuwarfen.
Ailis lachte auf. Es war ein Scherz, ganz gewiss. Fee, die Frau eines Ritters! Das musste ein Streich sein, mit dem sie ihre Familie erschrecken wollte.
Aber warum hatte sie gewollt, dass Ailis an diesem Schauspiel teilnahm? Hoffte sie wirklich, Ailis würde ihr auch nur ein Wort glauben? Und wenn ja, was bezweckte sie damit?
»Nun«, sagte der Graf gedehnt, »Ritter Baan ist ein prächtiger Mann, ohne Zweifel. Und er ist der Sohn und Erbe meines besten Freundes. Ich wüsste nicht, was – «
»Fee ist meine Tochter!«, fiel Eberhart ihm scharf ins Wort. »Deine Meinung, ve r ehrter Bruder, dürfte daher wohl von minderem Gewicht sein.« Sein Blick wanderte von dem sprachlosen Grafen zu Fee. »Trotz ist nicht der beste Anlass, sich auf eine Ehe einzulassen.«
»Das solltest gerade du nicht allzu laut sagen.« Sie hielt seinem gekränkten Blick mühelos stand, als hätte sie diesen Augenblick in Gedanken schon hunderte Male durchlebt.
Ailis dachte benommen: Was geschieht hier? Sie sah die Gesichter der anderen wie durch einen Schleier. Sie müssen alle verrückt geworden sein, dachte sie wie b e täubt.
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