Loreley
Am liebsten hätte sie es auf das Essen geschoben, vielleicht war es verdorben.
Aber natürlich ging es nicht um schlecht gewordenes Schweinefleisch. Auch nicht um den Scherz eines jungen Mädchens, das Aufmerksamkeit erregen wollte.
Fee wollte von hier fortgehen! Wollte die Burg verla s sen und das Weib eines fre m den Ritters werden!
Ailis hatte das Gefühl, vor Empörung laut aufschreien zu müssen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! War das etwa ihre Schuld? Hatte Fee diese Entscheidung g e tro f fen, weil Ailis ihr von ihrer toten Schwester und dem jahrelangen Betrug erzählt hatte? Aber darüber wären sie doch hinweggekommen, sie beide gemeinsam! Was kümmerten sie die Intrigen der anderen? Sie waren beste Freundinnen, sie hatten doch einander. Warum genügte das plötzlich nicht mehr?
Tausend Gedanken, tausend Gefühle. Enttäuschung und Wut. Überraschung und Unverständnis. Und die Angst, plötzlich allein zu sein.
Warum nur tat Fee ihr das an?
»Baan wäre dir gewiss ein guter Mann«, sagte die Gräfin. »Aber, sei bitte aufric h tig, hat er dich in jener Nacht – «
»Angerührt? Natürlich nicht.«
»Sei ehrlich«, verlangte der Graf.
»Ich bin ehrlich!«, entgegnete Fee empört. »Baan ist ein tugendhafter Mann, und er würde nie – «
Diesmal wurde sie von Eberhart unterbrochen. »Ich kannte seinen Vater. Nicht so gut wie du, Wilhelm, aber ich kannte ihn. Wie ähnlich ist ihm sein Sohn?« Sein Tonfall verriet deutlich, dass er weit weniger von dem alten Falkenhagen hielt als sein Bruder.
»Er ist aufrichtig«, schleuderte Fee ihm kalt ins G e sicht. »Er würde mich niemals anlügen. So viel weiß ich.«
Plötzlich drehte sie sich um und schaute Ailis an. E i nen Herzschlag lang sah es aus, als wollte sie etwas s a gen, dann aber schlug sie nur für einen Moment die A u gen nieder und wandte sich wieder an die anderen. »Was ist nun, Onkel? Wirst du den Boten losschicken?«
Der Graf nahm seinen Weinkelch zur Hand, starrte e i nen Augenblick lang hinein, dann reckte er ihn blit z schnell empor und sprach: »Darauf trinke ich. Der Bote soll reiten. Und Baan wird deine Hand bekommen, wenn er sie immer noch will.« Er trank einen Schluck, sah, dass sein Bruder etwas einwenden wollte, und nahm den Kelch schnell wieder vom Mund. »Vorausgesetzt«, setzte er dann hinzu, »dein Vater, Fee, hat nichts dagegen.«
Eberhart schwieg kurz, dann schüttelte er den Kopf und sah seine Tochter eindrin g lich an. »Du weißt, was du tust, nicht wahr?«
»Gewiss«, sagte sie kühl, doch der eigentümliche Glanz in ihren Augen verhieß e t was anderes. Es war, als wollte sie mit Blicken sagen: Haltet mich doch davon ab! Ich wollte euch nur verletzen, aber ich will doch keinen Mann!
Das zumindest las Ailis darin und es schnürte ihr fast den Atem ab. Sie hatte das Gefühl, schnellstens von hier fort zu müssen, heraus aus dieser Halle, aus der Burg, irgendwohin, wo die Luft klar und rein und nicht voller Hass und stummer Anschuld i gungen war.
Aber sie blieb sitzen, eine schweigende Zuschauerin, gebannt von dem, was vor i h ren Augen geschah. Es war ihr n icht gestattet, sich einzumischen, doch je länger sie zusah, desto drängender wurde ihr Wunsch, Fee anz u brüllen, ob sie den Verstand verl o ren habe. Und was ihr einfalle, sie hier zurückzulassen. Ob sie überhaupt einen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte, was sie Ailis damit antat?
»Dann steht es also fest?«, fragte Fee.
Die Gräfin gab keine Antwort, doch der Graf nickte. »Was mich betrifft, sicher.«
»Vater?«, wandte Fee sich an Eberhart.
Er packte seinen Weinkelch, jedoch nicht, um damit auf den Beschluss anzustoßen. Vielmehr krallten sich seine Finger darum, als wollte er ihn in seiner Hilflosi g keit zerdrücken.
»Es ist deine Entscheidung«, sagte er, ohne Fee anz u sehen. »Du hast das Recht d a zu. Ich werde dir nicht im Wege stehen.«
Fee erhob sich, eine fließende, fast majestätische B e wegung. »Was glaubst du, O n kel, wann können wir Baans Antwort erwarten?«
Der Graf lächelte. »Wenn ich Baan richtig einschätze, wird er in wenigen Tagen hier sein. Trotz des Wetters. Er wird schon einen Weg finden, dessen bin ich sicher.« Er prostete seiner Nichte anerkennend zu. »Und wer sollte ihm das verübeln, bei einer so hübschen Braut?«
Keiner der anderen ließ sich von seiner Ausgelasse n heit anstecken, auch nicht die Gräfin. Sie schaute Fee nur lange an, als wollte sie ihre Gedanken lesen, dann legte sie
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