Loreley
»Bitte, fahrt fort.«
»Nun, es wird allerlei geredet«, sagte er vage und schien abzuwägen, ob seine Schwatzhaftigkeit das G e schäft mit Erland beeinträchtigen könnte. Dann aber sprach er weiter: »Vieles ist gewiss nur Gerede, da hat dein Meister recht, Mädchen. Aber an manchem scheint auch ein wenig Wahres zu sein.«
Erland grunzte etwas Unverständliches, doch der Händler ließ sich nicht beirren. Mit unheilschwangerer, an tausend Lagerfeuern erprobter Schicksalsstimme ve r kündete er: »Man sagt, die Naddred seien zurückg e kehrt.«
»Die was?«, fragte Ailis verwundert.
Erland blickte verärgert von seiner Schmuckkiste auf. »Naddred«, sagte er. »Schlangengezücht.«
»Naddred ist das alte Wort für Nattern«, sagte der Händler.
»Aber Schlangen gibt es überall. Was sollte so Beso n deres daran sein?«, fragte A i lis.
»Die Naddred sind keine Tiere, sondern Menschen wie du und ich«, erklärte Erland und funkelte den Hän d ler an, wütend darüber, dass der Mann überhaupt die Sprache darauf gebracht hatte. »Sie sind Priester des A l ten Glaubens.«
»Wie die Gräfin?«, entfuhr es Ailis.
Die beiden Männer wechselten einen Blick. »Das sol l test du nicht allzu laut sagen, Mädchen«, meinte der Händler.
Aber Erland sagte mit gesenkter Stimme: »Selbst wenn alles der Wahrheit entspr ä che, was man sich über die Gräfin e rzählt, so wäre sie doch noch lange keine Naddred. Was immer sie in ihren Gemächern tun mag, kann nichts Böses sein. Das würde der Graf nicht du l den.«
Der Händler nickte zustimmend. »Die Naddred dag e gen sind durch und durch ve r derbt. Sie huldigen den furchtbarsten unter den alten Göttern. Tausende sind einst auf ihren Altären gestorben, geopfert, um ihre Got t heiten gnädig zu stimmen.«
»Aber das ist lange her«, warf Erland ein. »Weder u n sere Väter noch deren Väter haben dergleichen mit eig e nen Augen mitangesehen. Es muss Hunderte Jahre her sein, dass die Naddred zuletzt in Erscheinung traten.«
»Trotzdem haben sie nie aufgehört, ihre finsteren Pl ä ne zu schmieden«, sagte der Händler. »Zumindest erzä h len sich das die Leute.«
»Und wenn schon?«, fragte Erland. »Kirche und K ö nig werden schon dafür sorgen, dass sie nie wieder so mächtig werden wie einst.«
»Ihr habt großes Vertrauen in Eure Oberen, Meister Schmied«, entgegnete der Händler. »Darum beneide ich Euch.«
»Ihr macht meinem Lehrmädchen Angst, das ist alles. Besser, Ihr geht jetzt.«
Ailis fuhr empört auf. »So ein Unsinn! Ich habe keine Angst. Bestimmt nicht vor ein paar alten Priestern.«
»Brauchst du auch nicht«, sagte Erland beschwicht i gend, »weil es die Naddred nicht mehr gibt. Und falls doch, werden sie sich hüten, aus ihren Löchern zu kri e chen.«
»Aber warum dieser Name?«, fragte sie wissbegierig. »Warum nennen diese Leute sich Nattern?«
Der Händler wickelte die Schmuckstücke, die er E r land abgekauft hatte, in ein Tuch und schob das Bündel vorsichtig i n eine Satteltasche. »Für uns mag das wie ein Schimpfwort klingen. Die Naddred aber glauben, dass sie durch ihre Rituale gereinigt und wiedergeboren werden. So, wie die Schlange ihre Haut abstreift und zurücklässt, lassen die Naddred ihr altes Leben hinter sich.«
Erland streckte dem Händler seine Hand entgegen. »Wenn Ihr so weitermacht, we r det Ihr mir nicht nur den Schmuck, sondern auch ein neues Lehrmädchen bezahlen müssen.«
Der Händler zählte einige Münzen ab und legte sie in Erlands Pranke. »Das ist mehr, als ausgemacht war. Ich mache gerne Geschäfte mit Euch. Und dabei soll es ble i ben.«
Erland brummte etwas und nickte grimmig.
»Aber die Naddred – «, begann Ailis und wollte den Händler zurückhalten. Der aber schüttelte den Kopf und ging zur Tür. »Frag deinen Meister danach, er wird wi s sen, was er dir erzählt und was nicht. Lebt wohl, Meister Schmied.« Mit einem Lächeln setzte er hinzu: »Und du, Mädchen, sei wachsam.«
Dann war er fort, und die Tür fiel hinter ihm zu.
»Erland«, empörte sich Ailis, »was sollte das?«
»Dieser Kerl erzählt Lügen, wenn er nur den Mund aufmacht«, entgegnete der Schmied. »Ich kenne ihn schon viele Jahre, und nichts von dem, was er je erzählt hat, war die Wahrheit.«
Sie spürte, dass er versuchte, um etwas herumzureden. »Ich bin kein kleines Kind mehr«, sagte sie erbost.
»Nein«, antwortete er, »ein großes. Und ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
»Sei doch nicht so verdammt
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