Loreley
sie mehr Spaß haben würde, wenn sie das Sagen hätte, und sie erklomm ihn erneut, reizte und neckte ihn, spielte mit ihm, und dabei umklammerte sie ihn wie ein langgliedriges Spinnenweibchen, das seine Beute fes t hält, aussaugt und schließlich verschlingt.
2. Kapitel
D rei Tage lang bemühte Ailis sich vergeblich um ein G e spräch mit Fees Vater. Am vierten endlich gestattete er ihr, ihr Anliegen durch die geschlossene Tür seiner Ka m mer vorzubringen. Daraufhin ließ er sie nach kurzem Z ö gern ein.
»Fee war also auf dem Lurlinberg?«, fragte er, als er die Tür hinter ihr verriegelt hatte. »Wie kommst du da r auf?«
Ailis wagte nicht, sich im Zimmer umzuschauen, aus Angst, er könne sie gleich wieder fortschicken. »Weil ich mit ihr dort oben war«, erwiderte sie, einen Augenblick lang unsicher. »Oder sie mit mir. Aber eigentlich jede von uns für sich allein.«
Verwundert starrte er sie an.
»Es tut mir Leid«, stammelte sie und wusste eigentlich selbst nicht genau, weshalb er sie so durcheinander brachte. »Ich habe seit vier Nächten kaum geschlafen. Alle sagen, ich bin krank, und vielleicht haben sie recht. Ich kann nicht in der Schmiede arbeiten, und ich habe immer noch Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen.«
Er kam ihr vor wie ein Betrunkener, dem es schwer fiel, seine Umgebung wahrz u nehmen. Aber sein Atem roch weder nach Wein noch nach Bier, einfach nur säue r lich. Kränklich.
»Und wie könnte ich dir helfen?«, fragte er.
»Mir?«, fragte sie überrascht. »Mir muss niemand he l fen. Es geht nur um Fee. Sie braucht wahrscheinlich mehr Hilfe als irgendjemand ihr geben könnte.«
»Was ist auf dem Berg geschehen?«, fragte er, aber er klang weder zornig noch allzu bewegt von dem, was A i lis zu berichten hatte. Er verbreitete eine solche Aura von Gleichgültigkeit, dass Ailis am liebsten einen Schritt z u rückgetreten wäre, um sich nicht anzustecken.
Sie zögerte noch, ihm die ganze Wahrheit zu erzählen. Doch dann wurde ihr klar, dass dies der Moment war, auf den sie seit vier Tagen gewartet hatte, und sie sagte sich, dass sie irgendwem schließlich alles erzählen musste, wenn sie nicht verrückt werden wollte.
Ailis holte tief Luft, dann berichtete sie ihm alles, was vorgefallen war. Sie begann mit dem Tag, an dem sie den Grafen, ihren Vater und die anderen Männer beim Ei n sperren des kleinen Mädchens beobachtet hatte. Dann schilderte sie vage ihre weiteren Besuche auf dem Lu r linberg, obgleich sie sich an keine Einzelheiten erinnern konnte. Nach einigem Zögern erwähnte sie auch, dass sie gesehen hatte, wie Eberhart in jener Winternacht ve r sucht hatte, den vereisten Strom zu überqueren. Doch selbst dabei blieb sein Gesichtsausdruck starr wie eine Maske. Wenn der Gleichmut in seinen Zügen wirklich ein Abbild dessen war, was in ihm vorging, dann war ohnehin jedes Wort umsonst. Tatsächlich schien es, als hörte er ihr kaum zu, fast so, als wüsste er das mei s te ohnehin längst und brauchte niemanden, der ihm davon erzählte.
Erst als sie beschrieb, wie sie vor vier Tagen ein let z tes Mal zu den Ruinen hinaufgestiegen und Fee ihr hei m lich gefolgt war, horchte Eberhart auf. Noch immer wir k te er, als blicke er geradewegs durch sie hindurch, doch in seinen Augen erschien etwas, das stummem Entsetzen zumindest nahe kam.
Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, zuletzt mit zunehmend stockender Sti m me, sagte sie: »Ich weiß nicht mehr, wie ich vom Lurlinberg zur Anlegestelle am Ufer gekommen bin. Auf jeden Fall hat mich am Nac h mittag der Fährmann gefunden. Er hat mich ins Dorf g e bracht, und irgendwer half mir, zurück zur Burg zu g e langen. Da waren Fee und Baan schon seit einem halben Tag fort.« Sie hielt kurz inne und setzte dann noch hinzu: »Seitdem versuche ich, mit Euch zu sprechen.«
Sein Blick war trübe wie tote Fischaugen. Er hätte niemals hierher zurückkehren sollen, dachte Ailis. Er hat weder sich noch Fee damit einen Gefallen getan. Im G e ge n teil – hätte Fee sich nicht mit ihm gestritten, wäre sie nie mit Baan fortgegangen. Und es wäre niemals zu di e sem furchtbaren Wiedersehen mit Ailis auf dem Lurli n berg gekommen.
Doch in Wahrheit machte sie es sich damit zu einfach. Hätte sie Fee nicht erzählt, was sie von Erland erfahren hatte, hätte es keine Hochzeit gegeben. Mochte sie es auch noch so oft von sich weisen: Tief im Inneren wusste sie, dass sie allein die Schuld trug an dem, was gesch e hen war. Ohne sie wäre Fee
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