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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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immer noch daheim und die Kreatur im Schacht würde unverändert ihre Pläne schmieden.
    Ein weiterer Blick in Eberharts eingefallene, graue Züge genügte, um ihr klar zu machen, dass sie von ihm keine Hilfe erwarten konnte. Nicht einmal eine Auskunft. Sie begriff, dass der Gleichmut, mit dem er sich vor se i ner Umgebung zu schützen suchte, viel mehr war als nur das – dahinter steckte eine tiefe, unstillbare Trauer.
    Ja, dachte sie, er trauert tatsächlich. Um Fee, aber auch um s ich selbst. Eberhart hatte mit seinem Leben abg e schlossen. Er würde wieder von hier fortgehen und alles, was gewesen war, hinter sich lassen. Auf dem Bett lagen sogar schon seine Satteltaschen.
    Am liebsten hätte sie ihn an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt. Wenn nicht er, wer sonst konnte Fee noch helfen? Und gab es überhaupt eine Rettung? Vie l leicht war Fee längst tot, und alles, was noch lebte, war ihr Körper, der jetzt etwas Neues, Schreckliches behe r bergte.
    Plötzlich überkam Ailis solche Verzweiflung, dass sie beinahe in Tränen ausbrach. Doch sie durfte jetzt nicht aufgeben, durfte nicht wie Eberhart die Flucht ergreifen. Das war sie Fee schuldig.
    Eberhart ging zum Fenster und schob die Riegel zur Seite. Kühle Frühlingsluft wehte herein. Der Himmel war wolkenverhangen, feiner Nieselregen fiel.
    Ailis schaute von Eberharts Rücken zu den gepackten Taschen auf dem Bett. Sie e r trug das Schweigen nicht länger. »Ihr werdet wieder fortgehen?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte er knapp.
    »Dann wollt Ihr nicht versuchen, Fee zu helfen?«
    »Das habe ich schon«, sagte er und schaute aus dem Fenster hinab in den Hof. Wahrscheinlich wurde dort unten gerade ein Pferd für ihn gesattelt.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Ich habe der Königin von Faerie ein Opfer angeboten.«
    »Der Königin –?«
    »Titania.«
    Noch nie war Ailis einem so widersprüchlichen Me n schen begegnet. Nichts, was er sagte oder tat, passte i r gendwie zusammen. Zudem spürte sie, wie seine kran k hafte Niederges chlagenheit auf sie abfärbte, und gerade das wollte sie vermeiden. Sie hatte auch so schon genug Kummer.
    »Was für ein Opfer soll das sein?«, fragte sie und war sich durchaus bewusst, dass jeder andere Mann seines Standes sie für ihre Neugier augenblicklich hinausgewo r fen hätte.
    Aber Eberhart war längst an einem Punkt angelangt, an dem derlei Erwägungen keine Rolle mehr spielten. »Einen Edelstein«, sagte er.
    Ailis legte verwundert den Kopf schräg. »Gewiss b e sitzt die Königin des Feenre i ches mehr Edelsteine als Sterne am Himmel stehen.«
    »Aber keiner davon ist wie meiner. Es ist mehr als ein Stein. Er ist das Wertvollste, das ich je besessen habe.«
    »Dann habt Ihr ihn ihr schon gegeben?«
    »Ich war gestern Abend auf dem Lurlinberg und habe den Stein in das Tor gewo r fen.« Er hob die Schultern, doch zum ersten Mal wirkte seine Gleichgültigkeit u n echt. »Ich kann nur hoffen, dass Titania ihn annimmt.«
    »Und wenn schon? Glaubt Ihr denn, sie kann etwas gegen das Echo ausrichten?«
    »Ich weiß es nicht.« Er drehte sich um und ihre Blicke kreuzten sich. »Aber Fee ist es wert, meinst du nicht?«
    »Dann habt Ihr die ganze Zeit gewusst, was dort oben auf dem Berg war?«
    »Nicht die ganze Zeit.« Mehr schien er dazu nicht s a gen zu wollen, so als hätte er längst damit abgeschlossen.
    »Der Stein«, begann Ailis »was macht ihn so beso n ders?«
    »Er gehörte einst dem größten von Titanias menschl i chen Gegnern – dem Papst. Niemanden hasst sie so sehr wie die Oberhäupter des christlichen Glaubens, der sie und ihr Volk in Vergessenheit geraten ließ.«
    »Woher wisst Ihr das alles?«
    Er zuckte nur mit den Schultern, gab keine Antwort. Aber Ailis ahnte es auch so: die Gräfin!
    »Der Stein war Bestandteil der päpstlichen Tiara«, sagte Eberhart gedankenverloren. »Doch die Päpste w a ren nicht die ersten, die ihn trugen. Vor ihnen gab es a n dere, von denen die Popen ihn raubten, um ihn als Geste des Hohns ihrem Ornat einzuverle i ben. Der Stein ist ein Relikt des Alten Glaubens. Ein Schlangenauge, so hat man ihn früher genannt. Es gab nur eine Hand voll d a von.«
    »Hat Euch das die Gräfin erzählt?«
    Einen Augenblick lang wirkte er überrascht, doch dann floss wieder Gleichmut über sein Gesicht wie eine Schicht aus flüssigem Glas. »Wenn du Fee wirklich he l fen willst, dann bete, dass Titania das Opfer annimmt.«
    Ailis überlegte noch, was sie

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