Loretta Chase
ohne sich umzudrehen.
»Sie haben
nicht ernstlich vor, den Dreck wieder in die Meierei karren zu lassen,
oder?«, fragte er.
»Gewiss
nicht«, sagte sie. »Das wäre kindisch. Auf Wiedersehen, Mr.
Carsington.« Hochmütig rauschte sie davon, den Rücken kerzengerade, die
Nase in der Luft. »Passen Sie auf!«, rief eine Jungenstimme.
Zu spät.
Sie spürte
den Eimer, ehe sie ihn sah. In dem Augenblick, als sie dagegentrat, hörte sie
erst die Warnung, und da war der Eimer bereits umgestürzt, das Wasser
verschüttet. Wie angewurzelt blieb sie stehen, doch ihre glatten Sohlen
rutschten auf den nassen Dielen weg. Erst strauchelte sie in die eine Richtung,
um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, dann in die andere, doch vergebens.
Sie verlor den Boden unter den Füßen und stürzte ihm dafür unaufhaltsam
entgegen ...
Zwei starke
Arme packten sie von hinten und zogen sie wieder hoch. Sie ließ sich an Mr.
Carsington sinken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Atem flog rasch und flach
dahin.
Alles war
so schnell gegangen und hätte auch schnell enden können. Sowie sie seiner
starken Arme, der Wärme seines Körpers gewahr wurde, sowie sie gewahr wurde, dass
sie sich an ihn sinken ließ und ihr Verstand sich zu verflüchtigen drohte, wollte sie
sich losreißen.
Doch dann
sah sie ihn.
Mit großen
Augen schaute der Junge zu ihr auf.
Er sagte
etwas, und auch Mr. Carsington musste wohl etwas gesagt haben, aber das Blut
rauschte ihr so laut in den Ohren, dass sie kein Wort verstand. Sie sah den Jungen, und
dann sah sie ihn auch schon nicht mehr, denn ganz plötzlich verschwamm
ihr alles vor Augen.
Zitternd
rang sie nach Luft und atmete tief aus. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder.
Doch der
Junge war noch immer da. Es war kein Traum. Sie bildete sich das nicht nur ein.
Hellblonde
Locken mit einem störrischen Wirbel am Hinterkopf.
Ihre Haare.
Aber die
Augen waren nicht ihre.
Eines war
blau, das andere braun.
Geordies
Augen.
Nicht in
Ohnmacht fallen, ermahnte sie sich. Was auch immer du jetzt tust, fall nicht in
Ohnmacht.
Kapitel 8
Darius hätte erwartet, dass Lady Charlotte
sich von ihm losreißen würde, nach Möglichkeit noch mit einem nachdrücklichen
Stoß in die Rippen. Doch sie blieb reglos, sehr reglos. In diesem befremdlichen
Moment der Ruhe wurde er nur allzu deutlich seiner Hände gewahr, die ihre
Taille umfassten, ihres betörenden Duftes und der glatten Haut ihres Halses,
der unweit seines Mundes lockte.
Es juckte
ihn in den Fingern, mit den Händen aufwärts zu wandern – und abwärts und
seitwärts und überall hin. Er könnte sie auch zurück in das Zimmer ziehen, die
Tür schließen und ...
Oh ja, eine
wirklich brillante Idee.
Lass sie
los. Sofort. Und scher dich weg. Weit weg.
Doch bevor
er seinen guten Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, ging ein Zittern durch sie.
Ob sie sich bei ihrem Malheur mit dem Eimer den Knöchel verdreht hatte? Oder
sich etwas gestaucht hatte?
»Haben Sie
sich wehgetan?«, fragte er.
Genau im
selben Moment sagte der Junge: »Es tut mir so leid, Euer Ladyschaft. Ich hab den
Eimer vorhin schon gesehen, als ich das erste Mal vorbeigekommen bin. Der hätte
gar nicht hier rumstehen sollen.« Er sah so zerknirscht drein, als wolle
er gleich anfangen zu weinen.
»Mach dir
keine Sorgen, halb so schlimm ... Pip, nicht wahr?«, sagte Darius.
Der Junge
nickte, doch sein besorgter Blick war noch immer auf Lady Charlotte gerichtet.
»Eigentlich Philip, Euer Ladyschaft. Philip Ogden. Aber alle nennen mich Pip.
Ich hab ja gewusst,
dass ich den Eimer da nicht stehen lassen sollte, aber Mr. Tyler hat nach mir
gerufen. Ich wollte gleich danach zurückkommen, war aber leider nicht schnell
genug. Tut mir leid.«
»Ist ja
noch mal gut gegangen«, beruhigte ihn Darius. »Ihre Ladyschaft hat sich
nicht verletzt.« Hoffe ich zumindest. »Aber so nass wie der Boden jetzt
ist, könnte jemand anders ausrutschen. Sag rasch einem der Mädchen Bescheid,
damit es hier aufwischt.«
»Ja,
Sir.« Wie der Blitz schoss der Junge davon.
»Alles in
Ordnung?«, fragte Darius sie.
»Ja ...
ja.«
»Können Sie
allein stehen? Sie haben sich nicht den Knöchel verstaucht, oder?«
»Nein.«
Er ließ sie
los, aber als er beiseitetreten wollte, griff sie nach seinem Arm. Besorgt sah
er sie an. Sie war totenbleich. »Was ist los?«, fragte er. »Sie sehen aus,
als hätten Sie ein Gespenst erblickt. Oder haben Sie Ihr Leben noch einmal an
sich vorüberziehen sehen? Ich dachte, Sie
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