Loretta Chase
Flur her. »Der bringt Unglück!
Wenn du uns deinen kleinen Hurensohn mit seinen teuflischen Augen nicht vom
Leib hältst, ziehe ich ihm das Fell über die Ohren!«
Darius
konnte Tylers Erwiderung nicht hören und wartete sie auch nicht ab.
Er trat
hinaus auf den Flur. »Wozu der Lärm?«, fragte er in einer absolut
gelungenen Nachahmung seines Vaters. Ganz wie sein Vater erhob er nicht die
Stimme. Ganz wie sein Vater hatte er das nicht nötig. Nicht ein einziger
Carsington hatte jemals die Stimme erheben müssen, um sich Gehör zu
verschaffen.
Die beiden
Männer schauten ihn an.
»Ich
höre«, sagte er.
Der
Schreihals stellte sich als Schreinermeister Jowett heraus, der die übliche
Klage vorzubringen hatte. Einer seiner Gesellen hatte sich einen Hammer auf den
Fuß fallen lassen und sich so den Zeh gebrochen. Zwar hatte Pip sich während
des Unfalls ganz woanders aufgehalten, doch es war trotzdem seine Schuld.
Jowett
weigerte sich weiterzuarbeiten, solange der Junge auf dem Anwesen war. Er könne
seine Männer nicht länger in Gefahr bringen.
Darius war
sehr versucht, dem Mann zu sagen, er wolle auf der Stelle das Anwesen verlassen
und sich niemals wieder blicken lassen. Ein Schreiner ließ sich leicht
ersetzen. Doch damit wäre das Problem nicht gelöst, denn sein Nachfolger würde
Pip wahrscheinlich mit derselben irrationalen Einstellung begegnen.
Und so wies
Darius ihn an, sich wieder an seine Arbeit zu begeben. Dann beorderte er Tyer in
sein Arbeitszimmer, wobei er sich selbst auf erschreckende Weise an seinen
Vater erinnerte.
Der
Stuckateur entschuldigte sich für die Störung. »Ich muss den Jungen
loswerden«, sagte er. »Meine Frau hat schon recht, das war ein Fehler, ihn
zu nehmen. Bringt allen nur Unglück. Mir auch, wenn niemand mit ihm
zusammenarbeiten will.« »Ich sagte Ihnen bereits, dass ich wenig von
Aberglauben halte – oder davon, den Jungen für etwas zu bestrafen, wofür er
überhaupt nichts kann«, sagte Darius. »Ich kann es nicht ändern, Sir, wenn
die Leute so was glauben«, verteidigte sich Ttyler.
Das stimmte
allerdings. Darius konnte es auch nicht ändern.
Aberglauben
undVorurteile gediehen auf Ignoranz, und gegen Ignoranz ließ sich nur schwer
angehen. Sie war unempfänglich für Logik und Tatsachen.
So blieb
ihm nur Autorität.
»Der Junge
bleibt hier«, teilte er Tyler knapp mit. »Lord Lithby braucht ihn für
seinen Hund.«
»Aber, Sir
...«
»Ich werde
eine andere Aufgabe für ihn finden«, sagte Darius. »Sorgen Sie nur dafür,
dass alle Arbeiter erfahren, dass der Junge jetzt in meinen Diensten
steht.« Genau das, was ihm gerade noch gefehlt hatte. Noch mehr Verantwortung.
Noch mehr Probleme. Aber er konnte den Jungen nicht im Stich lassen.
Er wies
Tyler an, ihm eine genaue Auflistung sämtlicher Kosten zu bringen, die er hatte
tragen müssen, seit er Pip in die Lehre genommen hatte. Wenngleich die Summe
vergleichsweise gering sein würde, so war es doch eine weitere Ausgabe, die
Darius sich eigentlich nicht leisten konnte. Dazu kamen möglicherweise
juristische Komplikationen aufgrund des Lehrvertrags oder mit dem Armenhaus. Da
er sich weder mit Waisen noch mit Armenhäusern auskannte, sein Bruder Benedict
dafür aber umso besser, beschloss Darius, ihn um Rat zu bitten.
Tyler
gegenüber gab er derweil vor, genauestens Bescheid zu wissen. Er stellte einige
Fragen zu Pip und notierte sich in sehr bestimmter Manier die Antworten.
Name:
Philip Ogden
Geburtsort:
Yorkshire, wahrscheinlich im West Riding
Geburtsdatum:
Tyler kann sich nicht erinnern. Vermutet, der Junge sei elf »oder so was in
dem Dreh«
Mutter:
unbekannt
Vater:
unbekannt
Anmerkung:
beide vermutlich von Stand
»So hieß es
zumindest, weil der Junge doch von einem Pfarrer adoptiert worden ist«,
erklärte Tyler.
Pfarrer
Ogden aus Sheffield, Yorkshire, und Frau beide vor »ungefähr vier Jahren
gestorben« (1818?) Zweiter Adoptivvater: Samuel Welton, verwitweter
Pfarrer aus Salford, Lancashire, und Cousin von Mrs. Ogden. Dezember 1820
verstorben Ende 1820 oder Anfang 1821 Philip Ogden ins Armenhaus der Gemeinde
Salford gegeben Mai 1821 von Tyler in die Lehre genommen
Eine kurze, glücklose Geschichte. Es war
ein schwacher Trost zu wissen, dass es den meisten unehelichen Kindern noch
schlimmer erging.
Nachdem
Tyler gegangen war, ließ Darius sich die Sache in Ruhe durch den Kopf gehen und
beschloss, dem Armenhaus von Salford vorsichtshalber einen Besuch abzustatten.
Er wollte sichergehen, dass
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