Loretta Chase
suchen Männer sich gern junge
Frauen aus, die noch viele fruchtbare Jahre vor sich haben, was die Chancen
ungemein erhöht, genügend Söhne zu zeugen, in der Hoffnung, zumindest einige
von ihnen mögen das Erwachsenenalter erreichen und damit als Erbe taugen.«
»Wenn man
die Sache objektiv betrachtet, ist ohnehin kaum verständlich, warum mein Vater
einen solchen Aufwand betreibt«, sagte sie. »Ich bin nicht sein Sohn. Ich
kann weder den Titel noch das Anwesen erben, da es an den Titel gebunden ist.
Weshalb es ihm egal sein könnte, ob ich Söhne bekomme oder nicht, denn meine
Kinder könnten die Linie nicht fortführen.«
Der Weg
führte sie zu einem moderigen Tümpel, der einst zu einer ganzen Reihe eleganter
Wasserspiele gehört hatte, die den Garten schmückten. Nirgends eine Spur von
Kind oder Hund. In sicherer Entfernung war das Gehöft zu sehen. Für heute war
sie gerettet, Mr. Carsingtons rechtzeitiges Auftauchen sei Dank.
»Mir
scheint, dass alle Eltern, ganz unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Rang,
sich Enkelkinder wünschen«, meinte er nachdenklich. »Daraus lässt sich
schließen, dass der Mensch als sterbliches Wesen Gewissheit möchte, dass nach
seinem Tod etwas von ihm weiterlebt. Zudem sehen Eltern es gerne, wenn ihre
Kinder sich in geordneten Verhältnissen niederlassen.«
»So auch
Ihre Eltern«, stellte sie fest. »Nur dass Sie Ihnen statt einer Frau ein Anwesen
besorgt haben. Sehr vernünftig. Ich könnte mir vorstellen, dass es noch
schwieriger ist, einen Sohn zu verheiraten als eine Tochter. Frauen heiraten
letztlich jeden, der annehmbar ist. Sie wissen es nicht besser, weil sie es
nicht anders gelernt haben. Sie hatten nie die Möglichkeit und
die Freiheit herauszufinden, was sie wirklich wollen. Genau genommen wissen sie
nichts über Männer – meist nicht einmal über ihre eigenen Brüder, wenn sie denn
welche haben. Sie gründen ihr Urteil und ihre Vorstellung von Liebe auf Charme
und Äußerlichkeiten. Manche richten sich auch einzig nach Rang und
Vermögen.«
Auf ihre
Worte folgte Schweigen, doch das kümmerte sie wenig. Dies war keine
Abendgesellschaft, und sie war nicht verpflichtet, für Unterhaltung zu sorgen.
Sie sah Insekten und Vögel über das Wasser schießen und im angrenzenden Gehölz
verschwinden. In der Mittagsstille klang das Summen und Zwitschern wie Musik.
Einen kurzen Augenblick meinte sie, wieder auf Beechwood zu sein – so wie
früher, wo sie einfach sie selbst hatte sein können. Einen Augenblick lang
empfand sie fast Frieden.
»Ich
gestehe es höchst ungern ein«, ließ sich schließlich seine tiefe Stimme
vernehmen, »aber Sie überraschen mich fortwährend.«
Sie sah ihn
an. Auch er betrachtete die Vögel und Insekten – zweifelsohne mit tieferem
Verständnis, als sie es aufbringen konnte. Sein Gesicht lag halb im Schatten
seiner Hutkrempe verborgen, was seine kräftigen, markanten Züge indes nur
betonte. Sie erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, seine Wange an
der ihren zu spüren, seinen Mund zu schmecken, in seinen starken Armen geborgen
zu sein. Das unbändige Verlangen, das sie nach ihm verspürte, war allerdings
keine Erinnerung. Es war nicht vergangen, sondern gehörte zu diesem Augenblick.
Sie wünschte, sie könnte nur seine Hand berühren, wie man in einem Augenblick
tiefen Verständnisses die Hand einer Freundin berührte. Nicht mehr. Aber wie
sollte es jemals so sein – mit einem Mann?
Daher
verdrängte sie sowohl den Wunsch als auch das Verlangen. Das war gar nicht so
schwer. Immerhin hatte sie jahrelange Übung darin.
»Sie haben
mich auch überrascht«, meinte sie. »Sie können einen Fehler eingestehen,
was die meisten Männer – und viele Frauen – nicht können. Sie sind sogar in der
Lage, sich zu entschuldigen
– eine rhetorische Form, die selbst den Geschwätzigsten die Sprache verschlägt.
Und Sie zeigen Mitgefühl für einen kleinen, unbedeutenden Lehrjungen«,
fügte sie hinzu und war stolz darauf, wie ruhig sie klang.
»Deshalb
müssen Sie nicht gleich sentimental werden«, meinte er.
»Ich bin
nicht sentimental«, erwiderte sie. »Es hat mich nur beeindruckt, wie gütig
Sie zu dem Jungen waren.«
»Sie messen
dem viel zu viel Bedeutung bei«, fand er. »Ich habe ihm eine Aufgabe
gegeben, mehr nicht. Es ist nicht unüblich, kleine Jungen dafür anzuheuern und
zu bezahlen, ein Anwesen von Schädlingen zu befreien. Ihr Wildhüter wird auch scharenweise
Jungs ausschicken, um Spatzen, Ratten und
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