Loretta Chase
es keine bürokratischen Scherereien bei der
Auflösung des Lehrvertrages gab. Zudem ließe sich dort vielleicht noch mehr
über den Jungen in Erfahrung bringen.
Doch zuerst
rief er Pip zu sich und teilte ihm mit, dass er fortan nicht mehr in Tylers
Diensten stehe.
Der Junge
sah am Boden zerstört aus. Etwas in seiner Miene erinnerte Darius an ... ja,
woran nur? Er dachte nicht weiter darüber nach. Der arme Junge blinzelte heftig
und versuchte, nicht zu weinen.
»Komm,
komm«, munterte Darius ihn auf. »Ich hatte dir versprochen, eine neue
Stelle für dich zu finden, und das werde ich auch. Vorerst wirst du dich bei
Purchase auf dem Gehöft nützlich machen.«
Pip nickte,
bot aber weiterhin ein Bild des Jammers.
Sich
unerwünscht und ungeliebt zu fühlen war nicht das angenehmste aller Gefühle.
Immer wieder seinem Schicksal überlassen zu werden, ohne dass der Junge etwas
dafür konnte oder etwas daran hätte ändern können, war gewiss auch nicht gerade
erfreulich.
Darius galt
seiner eigenen Familie wenigstens nur als enervierend – was ihm indes mehr
zusetzte, als ihm lieb war. Dieser Junge hatte nicht einmal eine Familie, und
Fremde waren meist auf den ersten Blick gegen ihn eingenommen.
Darius
wünschte sich, dass Lady Charlotte hier wäre. Sie hätte genau die richtigen
Worte für den Jungen gefunden. Schließlich hatte sie auch für Darius die
richtigen Worte gefunden. Hatte sie ihm seinen Vater nicht in einem gänzlich
neuen Licht erscheinen lassen?
»Komm
schon«, sagte Darius. »Du wirst dir doch wegen so etwas keine dummen Gedanken
machen. Mr. Welton muss große Stücke auf dich gehalten haben, sonst hätte er
sich mit deiner Erziehung nicht solche Mühe gegeben.«
Pip wischte
sich mit seinem schmuddeligen Ärmel die Augen.
»Hör
einfach nicht auf sie«, fuhr Darius fort. »Sie wissen es nicht besser.
Wilhelm der Eroberer war auch ein Bastard. Von ihm hast du schon mal gehört,
oder?«
Pip nickte.
»Davon gibt
es einige in den sogenannten besseren Kreisen«, sagte Darius. »Ohne die
illegitimen Sprösslinge des Adels ließe sich das gesamte Oberhaus in einen Kleiderschrank
sperren – und es wäre immer noch reichlich Platz darin.«
Die
Vorstellung, alle englischen Lords in einen Schrank gesperrt zu sehen,
entlockte dem Jungen ein zittriges Lächeln.
»Der erste
Duke of Richmond«, begann Darius aufzuzählen. »Der erste Duke of Grafton.
Der erste Duke of St. Albans. Alles illegitime Sprösslinge von Charles
II.« Die zweifarbigen Augen des Jungen weiteten sich verwundert, und sein
Mund öffnete sich in ungläubigem Staunen.
»Der Duke
of Somerset stammt von einem Bastard des Duke of Lancaster ab«, schloss
Darius. »Und das waren nur jene, die mir so auf die Schnelle eingefallen
sind.«
Mittlerweile
schien er den Jungen erfolgreich von seinem Kummer abgelenkt zu haben. »Sie
wurden alle in Sünde empfangen, Sir?«
Das Konzept
der Sünde hatte sich Darius von jeher nicht erschlossen. Und so meinte er: »Sie
wurden auf die übliche Weise gezeugt. Du weißt, was ich meine?«
Pip wurde
rot und prustete leise hinter vorgehaltener Hand.
Wieder
fühlte Darius sich an etwas erinnert, doch er hatte jetzt Dringlicheres zu tun,
als sich darüber Gedanken zu machen.
»Dann weißt
du auch, dass es nicht deine Schuld ist«, fuhr er fort. »An deinen Augen
ist auch nichts Böses. Ich habe so etwas schon einmal gesehen. In Eton, bei einem
der älteren Schüler. Und keiner von uns ist schreiend vor ihm davongerannt und
hat darin Teufelswerk gesehen. So etwas ist nichts weiter als eine Laune der
Natur – und noch dazu eine ziemlich interessante, wie ich finde. Ein Paar Augen
in derselben Farbe kann doch jeder haben. Verschiedenfarbige Augen sind etwas
Besonderes.« »Eton«, murmelte der Junge. »Etwas Besonderes.« Und stand
sogleich ein wenig aufrechter da.
»Dann
hätten wir das ja geklärt«, sagte Darius. »Jetzt muss ich mich nur noch um
die Auflösung deines Lehrvertrages kümmern. Dazu werde ich nach Salford
fahren.« Bei der bloßen Erwähnung Salfords schaute der Junge erschrocken
auf, doch dann reckte er tapfer das Kinn und schien bereit, Darius zu vertrauen.
»Ja, Sir.«
»Und dich
nehme ich mit, damit es heute nicht noch einmal Ärger gibt«, sagte Darius.
»Kannst du reiten?«
Ja, Pip
konnte reiten. Mr. Welton hatte es ihm beigebracht.
Die
Aussicht darauf, eines von Darius' edlen Pferden zu reiten, ließ den Jungen
fast die Furcht davor vergessen, an den Ort seiner schlimmsten
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