Loretta Chase
Bathsheba. »Er ist ein Fachmann
auf dem Gebiet kriminellen Denkens.«
»Führen Sie
Lord Northwick nicht unnötig in die Irre«, tadelte Rathbourne. »Sie können
sich gewiss denken, dass ich nicht kriminelles Verhalten im Sinn hatte.«
»Erschreckend, wie gut Sie meine Gedanken lesen können«, meinte sie.
»Weil Sie
so leicht zu durchschauen sind«, erwiderte er.
Sie wandte
sich ab, denn das Blut war ihr heiß in die Wangen gestiegen.
»Mir fiel
nur die Lage auf«, fuhr Rathbournes tiefe Stimme hinter ihr fort. »Das
Cottage liegt recht abgeschieden, außer Blickweite des Haupthauses und der
Nebengebäude. William war der älteste Sohn – so wie ich, und ich bin von klein
auf dazu erzogen worden, meine jüngeren Geschwister zu beschützen. Vielleicht
lässt es sich mit
Mrs. Wingates Mutterinstinkt vergleichen, ein Impuls, der nicht immer den
Gesetzen der Logik folgt. Ich hatte mir nur überlegt, ob William wohl auch aus
einem Gefühl brüderlicher Zuneigung oder Verantwortung heraus handelte.«
»Mir war
schon zu Ohren gekommen, dass Sie unglaublich schlau sein sollen«, sagte
Northwick. »Und Sie vermuten ganz richtig. Meine Großmutter glaubte immer, dass
William sich hier mit Edmund traf. Um Edmund Geld zu leihen, meinte sie,
welches er nie zurückgezahlt hat.«
»Das klingt
schon viel wahrscheinlicher als die Geschichten, die man sich in meiner Familie
erzählt und nach denen Edmund seine erbeuteten Schätze auf Throgmorton
vergraben haben soll«, meinte Bathsheba.
»Fast ist
es schade, die Kinder von ihrem Vorhaben abzuhalten«, sinnierte
Rathbourne. »Wie gern würde ich mit ansehen, wie sie hier das Gelände
umpflügen. Für Peregrine wäre es eine gute Übung.« Er hatte Northwick
bereits von Peregrines ägyptischen Ambitionen berichtet.
»Ich muss
gestehen, auch eine gewisse Neugier zu verspüren«, sagte Northwick.
»Müsste man nicht damit rechnen, dass meinen Vater der Schlag träfe, erführe er
davon, würde ich die beiden gewähren lassen. Zu gern wüsste ich, wie sie zu
Werke gehen wollen. Aber dann müsste man ein paar Leute schicken, die
aufpassen, damit sie nicht die Treppe herunterfallen oder vom Gesims erschlagen
werden. Gestern erst fiel mir ein loser Stein im Mauerwerk auf. Und das ist
keineswegs das Einzige, was auf Throgmorton im Argen liegt.«
»So ist es immer«,
fachsimpelte Rathbourne. »Ganz gleich wie fähig und fleißig der Verwalter auch
sein mag, irgendwelche Arbeiten müssen immer aufgeschoben werden, um anderen
den Vorrang zu geben. Auch Arbeiter stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung.
Nicht zu vergessen das wechselhafte Wetter. Man tut, was man kann, doch es ist
nie genug.«
»Wie ich
sehe, haben auch Sie Erfahrung in der Unterhaltung eines solchen
Anwesens«, stellte Lord Northwick fest.
Rathbourne
lächelte fein. »Müßiggang war mir nicht vergönnt. Mein Vater hat mich schon in
jungen Jahren in der Gutswirtschaft unterwiesen.«
»Dann
können Sie meine Sorgen gewiss nachvollziehen«, zeigte Lord Northwick sich
erfreut. »Auch wenn man größte Umsicht walten lässt, kommt es immer wieder zu
Unfällen. Und Kinder lassen nur selten Umsicht walten. Wenn sie sich auf den
Wegen halten und nicht im Dunkeln umherlaufen, sollten sie eigentlich recht
sicher sein. Aber ich sehe schon vor mir, wie die beiden hier bei Nacht
herumschleichen. Bei der Vorstellung gefriert mir das Blut in den Adern.«
»Sind Sie
in Ihrer Jugend denn nie bei Nacht umhergeschlichen, Lord Northwick?«,
fragte Rathbourne.
Bathsheba
wandte sich wieder nach ihm um. Er lächelte nicht, aber sie hörte das Lachen in
seiner Stimme.
»Natürlich,
und genau deshalb mache ich mir ja solche Sorgen«, sagte Northwick. »Ich habe
die Parkwächter angewiesen, die Hunde an der Leine zu lassen. Jeder einzelne
sollte umsichtig und bedachtsam sein. Aber wenn einer von ihnen mitten in der
Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, kann es schon passieren, dass er unüberlegt
und überstürzt handelt.«
Die
Parkwächter anzuweisen und zu warnen war Teil jener Pflichten gewesen, die Lord
Northwick laut Aussagen seines Sohnes gestern Mittag gerufen und ihn bis heute
davon abgehalten hatten, sich mit Bathsheba und Rathbourne zu treffen. Auch die
gesamte Dienerschaft, die Konstabier der umliegenden Dörfer und sämtliche
Nachbarn waren umgehend über die beiden Kinder unterrichtet worden. Er hatte
sogar den Zollwärtern in Bristol eine kurze Anweisung schicken lassen. »Sie
haben alles nur Mögliche für die Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher