Loretta Chase
sich doch. Gewiss haben Sie nichts dagegen einzuwenden, mit Ihrer
Cousine zu frühstücken?«
Es folgte
ein kurzes, unheilvolles Schweigen.
Eine
Prüfung. Oder eine Herausforderung.
Sie wusste,
dass manche Männer sich gern dieser Strategie bedienten, wenngleich Bathsheba
diese Form stummer Zwiesprache noch nie ganz verstanden hatte. Schließlich
meinte Lord Northwick: »Nein, ich habe nichts dagegen einzuwenden, Sir. Solange
wir uns alle darüber im Klaren sind, dass ich meiner Cousine nur so weit traue,
wie ich einen der steinernen Kolosse von Stonehenge werfen könnte.«
Woraufhin nun Rathbournes Miene marmorstill versteinerte.
Männersprache
hin oder her, es war höchste Zeit einzugreifen.
»Aber
natürlich«, beeilte Bathsheba sich zu sagen. »Lord Northwick muss mich
weder mögen noch mir trauen. Unser vorrangiges Anliegen besteht darin, die
Kinder zu finden.«
»Deshalb
bin ich hier«, bestätigte Lord Northwick. »Ich bin gekommen, weil Mrs.
Wingate meinte, Athertons Sohn wäre verschwunden. Mir war bekannt, dass Lord
Hargates ältester Sohn eine von Athertons Schwestern geheiratet hatte. Als dann
plötzlich Sie auftauchten, Sir, schloss ich, dass Sie wohl besagter Sohn seien.
In diesem Licht betrachtet, schien mir die Geschichte von dem verschwundenen
Neffen durchaus glaubhaft. Und doch bleiben einige Fragen. So zum Beispiel,
weshalb Sie sich nicht zu erkennen gaben. Auch Ihr Benehmen gab Anlass zur
Verwunderung. Es wollte so gar nicht zu dem passen, was ich bislang über Lord
Rathbourne gehört oder gelesen hatte.«
Rathbourne
schwieg und betrachtete sein Gegenüber mit regloser Miene. Er würde sich vor
niemandem erklären oder rechtfertigen, auch nicht vor seinesgleichen.
Lord
Northwick tat das Schweigen mit einem Achselzucken ab. »Wie dem auch sei, meine
vorrangige Sorge gilt Athertons Sohn. Es überrascht mich nicht im Geringsten,
dass er von dieser jungen Person auf Abwege geführt wurde. Meine lieben
Verwandten haben es immer wieder geschafft, Menschen auf Abwege zu
führen.« So auch Sie, hätte Lord Northwick ebenso gut hinzufügen können,
denn der Blick, mit dem er sein Gegenüber bedachte, sprach Bände.
Rathbournes
Miene wurde daraufhin höchst gelangweilt. »Mir scheint, dass die wirklich
wichtigen Fragen lauten, wohin diese Abwege meinen Neffen geführt haben, wie
wir ihm schnellstmöglich den Weg abschneiden und seiner wieder habhaft werden
können. Mr. DeLucey gab mir gestern zu verstehen, dass Sie bereit wären, uns
dabei zu helfen. Oder sollte ich das falsch verstanden haben?« Lord
Northwicks Blick schweifte zu Bathsheba und dann zurück zu Rathbourne. Kaum
merklich straffte er sich und sagte: »Ich glaube wohl, meine Pflicht zu kennen,
Sir. Natürlich werde ich Ihnen jede erdenkliche Unterstützung gewähren.«
London
Die
Dowager Countess of
Hargate pflegte sehr spät zu Bett zu gehen und sehr früh zu erwachen. Deshalb,
so meinten ihre Enkel, schaffte sie es auch, vor allen anderen alles und jedes
über alle und jeden zu erfahren. Ihre Korrespondenz war umfangreicher als die
von König George IV., dem Premierminister und dem gesamten Kabinett
zusammengenommen. Ein Gutteil des Tages verbrachte sie im Bett mit dem Lesen
und Beantworten von Briefen. War dies vollbracht, blieb immer noch genügend
Zeit, mit ihren Freundinnen zu tratschen (bei ihren Enkeln als die Harpyien
bekannt), Whist zu spielen und ihre Familie zu terrorisieren.
Am frühen
Montagnachmittag war sie gerade bei letzterem Punkt ihres heutigen
Tagesprogramms angelangt und ließ nach ihrem ältesten Sohn schicken.
Lord
Hargate fand sie in ihrem Boudoir inmitten üppiger Kissen thronen, wie immer
gekleidet in jenem pompösen Stil, der während ihrer jungen Jahre behebt gewesen war. So
verschwenderisch verfuhr sie mit Seide, Satin und Spitze, dass man St. Paul's
inwendig und auswendig damit hätte verhüllen können.
Er hatte
sie begrüßt und geküsst und erkundigte sich gerade nach ihrem Befinden, als sie
ihm mit einem Brief vor der Nase herumwedelte und sagte: »Lass es gut sein mit
diesem Unsinn! Was ist los mit dir, Hargate? Wie ich soeben erfahren musste,
soll mein Enkel mit einem schwarzhaarigen Flittchen durchgebrannt sein. Auf der
Straße nach Bath soll er sich zudem mit dem Pöbel geprügelt und zum Gespött
gemacht haben.«
»Ihr
Informant muss falsch unterrichtet sein«, erwiderte Lord Hargate. »Rupert
hält sich sicher und wohlbehalten mit seiner Gattin in London auf. Die beiden
bereiten ihre
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