Loretta Chase
beim Frühstück antraf.
Als sie
eintrat, erhob er sich, und seine Miene wurde sanft. »Heute siehst du schon
viel besser aus als gestern«, meinte er. »Ich hatte befürchtet, du
könntest die Nacht zuvor zu große Opfer gebracht haben und siechtest nun
dahin.«
»Wie
undankbar du bist«, entgegnete sie. »Ich wollte dich nur vor dir selbst
retten.« Er lachte und kam zu ihr.
»Das war
lieb von dir«, sagte er, schloss seine Arme um sie, zog sie aber nicht an
sich. Er sah sie nur an und lächelte fein.
»Ich bin
nicht lieb«, sagte sie.
Er küsste
sie auf die Stirn. »Doch, das bist du. Und durchtrieben. Eine äußerst betörende
Kombination.«
Schritte
vor der Tür ließen ihn zurückweichen.
Es klopfte.
»Ja, ja,
kommen Sie schon rein«, sagte Rathbourne.
Thomas trat
herein. »Lord Northwick ist soeben gekommen, Sir.«
»Aber ja,
natürlich. Wir haben ihn schon erwartet. Lassen Sie Seine Lordschaft nicht
länger warten, Thomas, und führen Sie ihn herein.«
»Ich wollte
mich ja nur vergewissern, dass ich nicht ungelegen komme«, murmelte Thomas
im Hinausgehen.
»Thomas
hält mich auch für undankbar«, stellte Rathbourne fest.
»Ich nehme
alles zurück, was ich am Freitagabend über ihn gesagt habe«, sagte
Bathsheba. »Thomas ist ein Prachtexemplar von einem Diener – und ein Heiliger
noch dazu.«
»Das ist er
wohl, der Arme. Gestern hat er den ganzen Tag auf mich gewartet und tapfer in
seiner Unterwäsche ausgeharrt, was übrigens ganz allein deine Schuld war, aber
ich ... Ah, Lord Northwick. Einen schönen guten Morgen, Sir.«
Einen
Augenblick blieb Seine Lordschaft in der Tür stehen, bevor er mit schwungvoller
Geste seinen Hut lüftete. Darunter kam gewelltes Haar zum Vorschein, das ebenso
dunkel war wie das ihre, wenngleich an den Schläfen von grauen Strähnen
durchzogen. Er war tadellos zurechtgemacht, und seine Kleider ließen die
Meisterschaft seines Schneiders erkennen.
Er trat ein
und schloss die Tür hinter sich.
»Guten
Morgen, Lord Rathbourne«, sagte er. »Vielleicht hätten Sie ja die Güte,
Sir, mir zu verraten, was genau dieses ganze Theater soll?«
Kapitel 15
Ein
reizbares Temperament,
so hatte Bathsheba feststellen dürfen, war nicht das alleinige Vorrecht ihres
Zweigs der Familie. Mittlerweile wusste sie, dass die Ungeheuerlichen DeLuceys
nicht die Einzigen waren, die sich auf theatralische Auftritte verstanden.
Gestern war
sie zu aufgewühlt gewesen, zu sehr damit beschäftigt, sich gegen Verletzungen
und Enttäuschungen zu wappnen, als dass sie ihr Publikum einer eingehenderen
Betrachtung hätte unterziehen können. Mandeville, nachdem er wie die Invasion
der Normannen hereingestürmt war, hatte zudem ihre Aufmerksamkeit ganz in
Beschlag genommen.
Northwick
war ihr dennoch aufgefallen. Obwohl er nur wenig gesagt und äußerst gelangweilt
gewirkt hatte, war sie sich doch bewusst gewesen, dass er sie einer gründlichen
Musterung unterzog. Zweifellos hatte er ihr noch größeres Unbehagen bereitet
als sein aufbrausender Vater, der aus seiner Feindseligkeit keinen Hehl gemacht
hatte.
Northwick
ließ sich ganz offensichtlich nicht so leicht hinters Licht führen.
Mit laut
pochendem Herzen sank sie auf den nächstbesten Stuhl nieder. Sie hatte ja
gewusst, dass man Rathbourne früher oder später erkennen würde. Aber dies zu
wissen war nicht dasselbe, wie erleben zu müssen, dass es tatsächlich geschah.
Rathbourne indes schien überhaupt nicht aus der Fassung gebracht. »Ah, dann
haben Sie sich also nicht von der reizenden Geschichte vom schwachsinnigen
Bruder Derek' beeindrucken lassen«, meinte er.
»Ich weiß,
dass Bathsheba Wingate keine Geschwister hat«, erwiderte Lord Northwick.
»Aber ich weiß, dass Lord Rathbourne einige Brüder hat. Einer von ihnen heißt
Rupert. Ich habe Rupert Carsington vor ein paar Jahren kennengelernt, als er
und einer meiner Cousins bei einem Ringkampf mit einigen Burschen in Streit
gerieten. Mr. Carsington warf einen der Angreifer kurzerhand in einen
Wassertrog. Gestern habe ich mich an diesen Kampfstil erinnert gefühlt – mal
ganz abgesehen von der äußerlichen Ähnlichkeit, die in der Tat frappant ist.
Aber vielleicht könnten Sie nun so gut sein, die Angelegenheit näher zu
erläutern, Sir.«
»Abgesehen
davon, dass ich nicht Derek, der derangierte Bruder, bin, verhält sich
eigentlich alles so, wie Mrs. Wingate es gestern dargelegt hat«, sagte
Rathbourne. »Wir sind auf der Suche nach meinem Neffen und ihrer Tochter.
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