Loretta Chase
Beispiel für diese
fragwürdige Erziehungsmethode.
Lord
Hargates Methode hatte hingegen darin bestanden, seinem Ältesten reichlich
Verantwortung aufzubürden – getreu dem Motto, dass Müßiggang aller Laster
Anfang sei.
»Vater hat
Leute ausgeschickt, um Bristol von einem Ende der Stadt zum anderen zu
durchkämmen«, sagte DeLucey.
Benedict
nickte. »Eine sehr vernünftige Vorgehensweise. Das Problem ist nur, dass die
Kinder nie da sind, wo man sie vermutet. Um wie viel Uhr wurden sie zuletzt
gesehen?«
»Gaffy
Tipton ist am frühen Abend beim Gasthof eingetroffen«, antwortete DeLucey.
»Er hatte den Kindern gesagt, sie sollten sich auf der Veranda unterstellen,
während er die Pferde versorgte. Normalerweise war das Lord Lisles Aufgabe,
meinte er, aber weil es in Strömen goss, hatte er sich selbst darum
gekümmert.«
»Peregrine?«,
fragte Benedict ungläubig. »Mein Neffe hat den Stallburschen gespielt?«
»Laut
Tipton soll er ein ruhiger, gehorsamer Junge sein, der sich gerne nützlich
macht«, sagte DeLucey.
»Ruhig und
gehorsam«, wiederholte Benedict. »Peregrine. Da soll mich doch der Teufel
holen.« Er schaute Bathsheba an. »Was glauben Sie, könnte das Olivias
Einfluss zu verdanken sein?«
»Soll das
ein Witz sein?«, erwiderte sie.
Ohne jede
Vorwarnung kam es über ihn, stand ihm die Szene wieder so lebhaft vor Augen,
als sei es eben erst gewesen: das atemberaubend schöne Gesicht dem seinen
zugewandt, die blauen Augen, in denen er zu versinken glaubte, und das leise
Lachen in ihrer Stimme, als sie ihm erzählte, dass sie vergeblich versucht
hatte, Olivia den Zigeunern zu verkaufen.
War es da
passiert?
War er
bereits da verloren gewesen – lange, bevor es ihm bewusst geworden war? Hatte
seine Welt sich von jenem Tag zu ändern begonnen, und er war so töricht gewesen
zu glauben, alles sei wie zuvor und er noch immer derselbe?
Er war
nicht mehr derselbe wie zuvor und würde es auch nie wieder sein.
Peregrine
dürfte es wahrscheinlich ähnlich ergehen.
»Ja, Tipton
meinte, sie hätten sich beide nützlich gemacht«, fuhr DeLucey fort.
»Ehrlich gesagt schien ihn das auch zu überraschen. Nur gestern Abend hatte er
sich wegen des Regens, wie gesagt, selbst um sein Pferd gekümmert. Er wollte
nicht, dass die Kinder sich womöglich eine Erkältung einfangen. Deshalb hat er
ihnen gesagt, sie sollten auf der Veranda, im Trockenen, auf ihn warten. Da hat
er sie auch das letzte Mal gesehen.«
Benedict
überlegte kurz. »Von Bristol nach Throgmorton ist es nicht allzu weit«,
meinte er. »Zu Fuß ein paar Stunden. Vielleicht finden sie auch jemanden, der
sie ein Stück mitnimmt. Aber selbst wenn sie die ganze Strecke laufen, müssten
sie mittlerweile eigentlich auf Throgmorton angekommen sein.«
»Sie meinen
also, dass wir unsere Anstrengungen besser vor Ort konzentrieren
sollten?«, fragte DeLucey »Oh nein,
ich würde Lord Northwick nur ungern raten wollen, wie er vorgehen soll«,
sagte Benedict. »Andererseits kann es gewiss nicht sein Wunsch sein, Zeit und
Mühen seiner Leute zu verschwenden – und je eher er uns los ist, desto besser
für alle Beteiligten.«
Peter
DeLucey setzte zu jenem höflichen Widerspruch an, der von ihm erwartet wurde,
doch Benedict schnitt ihm das Wort ab. »Wenn Sie Ihrem Vater bitte ausrichten
könnten«, sagte er, »dass ich ihn gern sprechen würde, sobald es ihm
genehm ist.«
Dienstagnachmittag
»Wir
können doch nicht
einfach durch das Haupttor laufen!«, sagte Peregrine. Er fasste Olivia beim
Arm und zog sie in die entgegengesetzte Richtung, ehe jemand an der Zufahrt von
Throgmorton sie entdeckte.
»Heute ist
Besuchertag«, entgegnete sie. »Du hast selbst gehört, was Mr. Swain gesagt
hat – am Dienstag- und Donnerstagnachmittag steht Throgmorton Besuchern offen.
Allen Besuchern.«
Sie hatten
die Nacht im Laden von Mr. Swain verbracht, einem Pfandleiher – weil
Pfandhäuser zu den wenigen Orte gehörten, an denen Olivia sich sicher und
geborgen fühlte.
Peregrine
war sich keineswegs so sicher, ob er diese Ansicht teilte. Aber immerhin hatten
sie es warm und trocken gehabt, und in dem kleinen dunklen Laden, durch dessen
Tür etliche vom Regen durchnässte, heruntergekommene Gestalten ein und aus
gingen, waren sie auch nicht weiter aufgefallen.
Nach fünf
Tagen auf der Straße sahen er und Olivia ebenso schmutzig und zerlumpt aus wie
die weniger vom Schicksal begünstigten Einwohner Bristols. Wenn sie jetzt einen
respektablen Gasthof betreten
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