Loretta Chase
versprochen
habe, keine Ausnahmen zu machen, Sir.«
Was
Benedict gern tun würde, war, den kleinen Mann beim Hals zu packen und seinen
Schädel so lange auf den Ladentisch zu schlagen, bis er sich kooperativer
zeigte.
Was
Benedict sagte, war: »Ihre Bedenken gereichen Ihnen zur Ehre, Sir. Ich verstehe
sehr wohl. Wenn Sie Mrs. Wingate nun freundlicherweise eine Nachricht zukommen
ließen, dass ich sie zu sprechen wünsche. Ich warte solange.«
Dann ließ
er sich in einem Sessel bei einem Tisch nieder und begann gelangweilt, in einer
Mappe mit Lithografien zu blättern.
»Es
w...wäre mir ein V...Vergnügen, Euer Lordschaft«, stammelte Popham. »Nur
leider gibt es n...noch ein Problem.
Mein Assistent
ist gerade unterwegs und macht eine Lieferung, und ich kann den Laden nicht
unbeaufsichtigt lassen.«
»Dann
schicken Sie einen Boten«, sagte Benedict ohne aufzusehen.
»Jawohl,
Euer Lordschaft.« Popham eilte hinter dem Ladentisch hervor und trat hinaus
auf die Straße. Er schaute die Straße hinauf, er schaute die Straße hinab.
Nirgendwo ein Bote. Popham kehrte in den Laden zurück. In regelmäßigen
Abständen ging er abermals hinaus und schaute die Straße hinauf und hinab.
Es war ein
kleiner Laden. Obwohl Benedict keineswegs ein kleiner Mann war, beanspruchte er
dennoch nicht übermäßig viel Raum – rein körperlich gesehen. Da er jedoch ein
Aristokrat war – eine Spezies, die in diesem Teil Holborns eher selten
gesichtet wurde –, schien seine Anwesenheit viel raumgreifender als die
gewöhnlicher Menschen.
Nicht nur
schien er jeden Quadratmeter des Ladens mit seiner Präsenz zu erfüllen, er
veranlasste die Kundschaft dazu, ihn anzustarren und zu vergessen, weswegen sie
eigentlich gekommen waren. Etliche Kunden waren so in Ehrfurcht erstarrt und
eingeschüchtert, dass sie wieder aus dem Laden huschten, ohne etwas gekauft zu
haben. Und das war noch keineswegs das Schlimmste.
Statt mit
einer seiner eigenen Kutschen war er mit einer Mietdroschke gekommen, um keine
Aufmerksamkeit zu erregen. Doch hatte er den Fahrer dafür bezahlt, vor dem
Laden zu warten, was hierorts höchst unüblich war, folglich Aufmerksamkeit erregte und
mittlerweile erheblich den Verkehr behinderte. Passanten fingen an, sich mit
dem Droschkenfahrer zu unterhalten. Schaulustige fanden sich ein. Aufgehaltene
Fuhrmänner machten ihrer Wut so laut Luft, dass man es bis in den Laden hörte.
Popham wurde von Minute zu Minute roter im Gesicht und hektischer im Gebaren.
Nachdem
eine halbe Stunde vergangen und der Assistent noch immer nicht zurückgekehrt
war, gab er Lord Rathbourne die gewünschte Adresse.
Von
Holborn bog der Droschkenfahrer
nach links in Hatton Garden ein, dann rechts in die Charles Street. Hier, vor
einem Wirtshaus namens »Bleeding Heart«, stieg Benedict aus. Er bat den
Kutscher, etwas weiter die Straße hinab zu warten, wo das Gefährt den Verkehr
nicht gar so sehr behindern würde.
Entschlossenen
Schrittes überquerte er die Straße, blieb dann aber zögernd vor dem schmalen
Durchgang stehen, der in den Hof führte.
Das Viertel
war ausgesprochen ärmlich. Entgegen Mrs. Wingates Annahme waren Lord Rathbourne
die unschönen Seiten Londons keineswegs fremd. Er hatte an etlichen
parlamentarischen Untersuchungen zu den Lebensbedingungen der unteren Schichten
mitgewirkt. Und er verdankte seine Sachkenntnis nicht allein der Lektüre.
Er zögerte
auch nicht, weil er sich vor ansteckenden Krankheiten gefürchtet hätte, obwohl
seine Frau einem Fieber erlegen war, das sie sich auf einer ihrer frommen
Missionen in eben solch einem Viertel eingefangen hatte.
Er zögerte,
weil sein Verstand sich zurückgemeldet hatte.
Was um
alles in der Welt wollte er ihr persönlich sagen, was er nicht auch in einem
Brief würde schreiben können? Was kümmerte es ihn, ob Mrs. Wingate an seinem
Schreiben Anstoß nahm? Hatte er nur einen Vorwand gesucht, sie zu sehen? Hatte
er sich von dem Aufruhr in seinem Innern zu derart unbedachtem Handeln
hinreißen lassen?
Letztere
Frage ließ ihn auf dem Absatz kehrtmachen.
Forschen
Schrittes lief er die Charles Street hinab, den Blick fest auf den Weg vor sich
gerichtet und seine Gedanken auf das, was es zu bedenken galt. Er war in
geschäftlicher Angelegenheit
hier. Weswegen er Mrs. Wingate umgehend eine kurze Nachricht schreiben würde,
in der er ihr mitteilte, dass Peregrine ins Internat zurückkehre und seinen
Unterricht bei ihr nicht fortsetzen könne. Selbstverständlich würde sie
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