Loretta Chase
ich bin zu dem Schluss gelangt, dass er wichtiger ist als alte
Streitigkeiten und Skandale.«
Er war
zur Vernunft gekommen,
glaubte Benedict.
Wenngleich
er sich nichts hatte anmerken lassen, so war er sich doch des Augenblicks
bewusst gewesen, als sie den Laden betreten hatte. Er hatte ihre leichten
Schritte gehört, ihre Anwesenheit gespürt. Trotzdem hatte er sich Zeit
gelassen, hatte sich erst gewappnet, ehe er sich zu ihr umdrehte.
Dann hatte
er sie angeschaut, und der Bann war gebrochen. Dachte er.
Sie war
nicht das schönste Geschöpf auf Erden, wie er geglaubt hatte. Sie erschien ihm
auch keineswegs mehr zu jung, um eine Tochter in Peregrines Alter zu haben. Das
Gesicht, welches Benedict so unvergesslich gefunden hatte, war von Sorgen
gezeichnet, die blauen Augen längst nicht so strahlend, wie er sie in
Erinnerung hatte.
Folglich konnte
er davon ausgehen, seine Wahl nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen,
unbeeinflusst von der Meinung der guten Gesellschaft oder den Szenen, die er
würde erdulden müssen, sollte Atherton je davon erfahren. Es galt allein, sich
zu Peregrines Bestem zu entscheiden.
Sowie
Benedict die Worte ausgesprochen hatte, wusste er, dass er die richtige
Entscheidung getroffen hatte.
Allerdings
hatte er ganz und gar nicht erwartet, diese Richtigkeit in ihrem Antlitz
gespiegelt zu finden. Zuerst leuchteten ihre Augen auf, dann wurde ihre Miene sanfter,
der angespannte Zug um ihren Mund löste sich in ein sinnlich geschwungenes
Lächeln. Der besorgte Ausdruck verschwand aus ihrem Gesicht und nahm alle
Anzeichen des Alters mit sich. Das Blau ihrer Augen war abermals strahlend,
blendend fast, und sie schien geradezu von innen zu leuchten.
Wäre er ein
fantasiebegabter Mann gewesen, würde er sich vielleicht vorgestellt haben,
unversehens einen Zauberspruch entdeckt zu haben, um eine solch wundersame
Verwandlung zu bewirken.
Aber er
hatte seiner Fantasie noch nie freien Lauf gelassen, so er denn welche hatte,
was er bezweifelte.
»Sie sind
tatsächlich perfekt«, stellte sie verwundert fest.
Perfekt.
Ja, so sagte man von ihm. Wie gering ihrer aller Anspruch an Perfektion war!
»Ja, es ist
kaum zu ertragen, so langweilig ist es«, sagte er. »Ich sollte nun gewiss
erwidern, dass niemand perfekt ist, doch das wäre noch langweiliger und
unerträglicher. Mein einziger Trost ist, dass man aufhören wird, mich perfekt
zu finden, sowie unsere Abmachung sich herumgesprochen hat. Wie aufregend.
Endlich werde ich einen Makel haben.«
»Ich wusste
gar nicht, dass es so schwer ist, sich einen zuzulegen«, erwiderte sie.
»Doch Sie haben Glück – wie Sie wahrscheinlich wissen, verfügt mein Zweig der
DeLuceys über ein
Übermaß an Makeln.«
»Sollte ich
einen weiteren benötigen, weiß ich, wohin ich mich wenden kann«, sagte er.
»Ich würde
Ihnen raten, sich zuerst an den einen zu gewöhnen«, sagte sie. »Derzeit
ist es noch ein geheimer Makel. Manch einer findet dies die besten Makel.«
»Ein Makel,
ein Geheimnis«, konstatierte Benedict. »Ich fühle mich geradezu
verworfen.«
»Es freut
mich, dass ich Ihnen dabei behilflich sein konnte«, sagte sie. »Aber um
zum Geschäftlichen zurückzukehren: Wird Lord Lisle sich hier zum Unterricht
einfinden? Ich weiß, dass es etwas entlegen ist, doch mag dies von Vorteil
sein. Er wird wahrscheinlich kaum jemandem über den Weg laufen, den er
kennt.«
»Dieser
Gedanke kam mir auch schon«, meinte Benedict. »Und es ist ein Leichtes,
ihn in Begleitung eines Dieners herzuschicken.« Eines diskreten und
vertrauenswürdigen, wohlgemerkt. »Ein kleiner Spaziergang wird ihm
guttun.«
»Aber bis zum Cavendish Square sind es fast zwei Meilen«,
gab sie zu bedenken. »Sie wissen, wo ich wohne«, stellte er fest.
»Wer wüsste
das nicht?«, gab sie zurück.
Ja, wer?
sinnierte Benedict müßig. Privatsphäre war für ihn unerschwinglicher Luxus.
»Was sind schon zwei Meilen?«, entgegnete er. »Peregrine braucht Bewegung,
jetzt zumal. Kürzlich ist ihm nämlich aufgegangen, dass eine gute Kenntnis des
Griechischen und Lateinischen für einen Altertumsforscher unerlässlich ist.
Seitdem ist er von den antiken Autoren geradezu besessen und sitzt nur noch
über seinen Büchern.
Wenn er als Entdecker nach Ägypten will, muss er aber nicht nur geistig,
sondern auch körperlich in bester Verfassung sein. Außerdem kann es nicht
schaden, wenn er sich beizeiten daran gewöhnt, unter Menschen zu
sein, die sich nicht in denselben Sphären bewegen wie
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