Loretta Chase
um
ihren wachsenden Verdruss zu offenbaren – zumal Humber nun auch noch etwas von
Fremden murmelte, die in friedliche Dörfer kämen und nichts als Ärger und
Unruhe brachten.
Ihre großen
blauen Augen weiteten sich und sprühten Funken, ihr ansehnlicher Busen hob und
senkte sich sichtlich, und ihre weichen Lippen öffneten sich leicht in
ungläubigem Zorn.
Weil ihn
dieser Anblick kaum gezügelter Leidenschaft erregte – was wohl einem jeden Mann
so ergangen wäre versäumte Benedict es, sie rechtzeitig zu ermahnen, mit ihrem
Unmut an sich zu halten.
Just als er
dieses Versäumnis nachholen wollte, platzte sie auch schon heraus: »Ich höre ja
wohl nicht recht! Drei betrunkene Männer pöbeln uns mitten in der Nacht an,
während wir arglos durch
das Dorf fahren. Einer wagt es gar, mich anzufassen. Mein Gatte hat lediglich
meine Ehre verteidigt. Eine Meute stürzt sich aus den Wirtshäusern auf ihn und
versucht ihn umzubringen. Und wir sollen schuld daran sein?«
Worauf
Humber erwiderte, die Männer seien doch offensichtlich zu betrunken gewesen, um
sich noch auf den Beinen zu halten, geschweige denn, jemandem etwas anzutun,
und so sei das nun mal hier, dass einer dem andern beistehe, wenn es Streit
gebe. Besonders mit Fremden. Er zeigte auf die am Boden liegenden Männer und
die Fensterscheiben umstehender Häuser. Einige Raufbolde waren in die Fenster
geflogen oder getaumelt und hatten erheblichen Schaden angerichtet. Ehe Mrs.
Wingate darauf etwas erwidern konnte, tauchte Thomas aus der Dunkelheit auf. Am
Zügel führte er die beiden Pferde, die, wie Benedict erleichtert sah, noch vor
die Karriole gespannt waren. Auch der Wagen hatte auf den ersten Blick keinen
erheblichen Schaden davongetragen.
»Ist das
Ihrer?«, fragte Humber. »Und das ist Ihr Diener? Tja, der muss auch
mitkommen, und der Karren kommt solange in den Bull.« Er wandte sich
wieder an Benedict. »Den bekommen Sie zurück, sowie Sie die Sache am Montag mit
dem Friedensrichter geklärt haben.«
»Am
Montag?«, sagten Benedict und Mrs. Wingate gleichzeitig.
»Vorher
sitzt Squire Pardew nicht zu Gericht«, teilte Humber ihnen großspurig mit.
»Seine Frau hat ein Machtwort gesprochen und sich dagegen verwehrt, dass ihr
der Pöbel auch noch am Samstag und dem Tag des Herrn in die Stube kommt.«
Wie bei vielen
Friedensrichtern auf dem Lande üblich, hielt der Squire kleinere, eher
belanglose Verfahren in seiner Wohnstube ab. Wie die meisten seiner Kollegen
wäre auch er allenfalls flüchtig mit der Gesetzeslage vertraut. Sein Urteil
würde sich bestenfalls auf gesunden Menschenverstand gründen sowie auf seine
ganz persönlichen Ansichten und Vorurteile und – in diesem Fall sehr
wahrscheinlich – jene seiner Frau.
Das musste
der Rechtsprechung keineswegs abträglich sein, und es bereitete Benedict wenig
Sorge. Was ihm hingegen große Sorge bereitete, war der Name, der ihm nur allzu
vertraut war, und die Möglichkeit, dass bereits jemand den Friedensrichter
geweckt und ihm von der Prügelei berichtet hatte. Pardew könnte sich schon auf
dem Weg befinden. Er war ein kleiner Wichtigtuer, der eine geradezu
ungeheuerliche Vorliebe für Klatsch und Tratsch hatte.
Benedict
neigte den Kopf und flüsterte Mrs. Wingate zu: »Wir sollten von hier
verschwinden. Ich will es lieber nicht auf eine Begegnung mit Pardew ankommen
lassen. Er kennt mich.«
Lauter
fügte er hinzu: »Zu meinem größten Bedauern muss ich sagen, dass Montag
...«
»Oooooh«,
hauchte Mrs. Wingate, ließ von ihm ab, machte ein paar schwankende Schritte auf
Humber zu und fiel in Ohnmacht.
Zunächst schöpfte Benedict keinen Verdacht.
Als sie die Hand an die Stirn hob und zu schwanken begann, stockte nicht nur
sein Atem, auch sein Verstand setzte aus. Trotzdem war er, ganz Gentleman,
geschwind zur Stelle, um sie aufzufangen. Doch sank sie gegen Humber, der
stattdessen das Vergnügen hatte.
Benedicts
Herz fing wieder zu schlagen an, derweil er mit argwöhnischem Blick zusah, wie
sie sich in den Armen des Wirts und Konstabiers wand, bis sie zu ihm aufsehen
konnte und ihr Busen sich an seine Brust schmiegte.
Humber
schien es nicht eilig zu haben, sich ihrer zu entledigen. Nun war er es, den
Benedict am liebsten umbringen würde.
Just in
diesem Augenblick kam eine stattliche Frau mit einer
Laterne herbei. Über ihrem Nachthemd trug sie einen dunklen Umhang, der
wahrscheinlich ihrem Mann gehörte. Eine Schlafhaube schützte ihren Kopf vor der
kühlen Nachtluft. Geschäftigen
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