Loretta Chase
schnell, mitzuspielen, wenn ich mir
endlose Tränenströme von meiner Mutter und King Lears Monolog über undankbare
Kinder seitens meines Vaters ersparen wollte.«
Sie fuhr
sich mit der Hand an die Stirn und deklamierte: .»Undankbarkeit, du
marmorherz'ger Teufel, / Abscheulicher, wenn du dich zeigst im Kinde, / Als
Meeresungeheuer!'« Daraufhin hob sie ihr Glas und trank.
Die
Erziehungsmethode schien jener nicht unähnlich, die Peregrines Eltern
anwandten. Aber wie fehlgeleitet die auch sein mochten, wollten sie doch stets
das Beste für ihren Sohn. Benedict bezweifelte sehr, dass ihre Eltern an etwas
anderem als ihrem eigenen Wohlergehen interessiert waren.
Er füllte
ihr nach. »So bist du also zu deinem Shakespeare gekommen«, meinte er.
»Ich habe ihn aus Notwehr gelesen«, sagte sie. »Meine Eltern pickten sich
nur die Stellen heraus, die ihren Zwecken dienten. Ich wählte die, die meinen
Zwecken dienlich waren. Sie spielten andauernd Theater. Nichts war jemals echt
bei ihnen. Selbst wenn sie die liebenden Eltern gaben, war es nur ein
Spiel.« Lächelnd betrachtete sie das Glas in ihrer Hand. »Meine
Gouvernante hingegen war durch und durch echt. Mein großes und einziges Vorbild
für Anstand und Ehrlichkeit. Oh, und Jack war natürlich auch echt und
unverstellt. Ein richtiges Original.«
Benedict
wollte hoffen, dass Jack Wingate sie so sehr geschätzt hatte, wie sie es
verdiente. Wenn er ihr schon keine Reichtümer hatte bieten können, so sollte er
sie wenigstens
mit Liebe, Hingabe, Zuwendung und Dankbarkeit überhäuft haben. Ach, es wäre so
leicht, ihr all das zu schenken ...
Nun, leicht
für jeden außer dem ältesten Sohn des Earl of Hargate, dem nicht mehr vergönnt
war, als mit ihr das Bett zu teilen –
und das auch nur, wenn er sie sich danach alsbald wieder aus dem Kopf schlug.
Nachdenklich
neigte sie den Kopf zur Seite. »Vielleicht würde ich meine Gouvernante
und Jack längst nicht so sehr geschätzt haben, wäre mein bisheriges Leben ...
weniger unperfekt gewesen.« Sie zuckte mit den Schultern, hob ihr Glas und
trank.
Benedict
tat es ihr nach und orderte noch eine Flasche.
Wäre er
weniger unperfekt, würde er nicht so viel Wein bestellen. Obwohl er dem Laster
des Trinkens nicht grundsätzlich entsagte, trank er doch selten maßlos. Sie
hingegen war wie geschaffen zur Maßlosigkeit.
Und er war
längst nicht so untadelig, wie man meinen sollte.
Je mehr sie
ihm erzählte, desto mehr wollte er über sie erfahren. Dies könnte seine letzte
Gelegenheit sein.
Was
keineswegs heißen sollte, dass er nur an geistigen Enthüllungen interessiert gewesen
wäre.
Er war
schließlich auch nur ein Mann, und seine Absichten waren erwartungsgemäß
verwerflich.
Wenn sie
nur trunken ihre Bedenken fahren und sich leichter und rascher ihrer Kleider
entledigen ließe, so wäre er gerade unperfekt genug, noch eine weitere Flasche
zu bestellen. Und noch eine.
Und auch
der Geschichten war kein Ende. Aber als sie gerade Zorn und Entsetzen ihrer
Eltern nachahmte, als diese herausfanden, dass Jack enterbt worden war, war
Benedict auf einmal, als müsse er irgendetwas gegen die Wand schmettern. Oder
irgendjemanden. Ihren Vater. Und den von Wingate gleich hinterher.
Langsam
hatten sie wirklich genug getrunken, sagte er sich, und die Nacht wurde von
Stunde zu Stunde kürzer. Er wollte, dass Bathsheba entspannt und frei von
Bedenken war, rief er sich in
Erinnerung. Er wollte nicht, dass sie das Bewusstsein verlor.
»Das
reicht, Mrs. Dashwood«, sagte er und nahm ihr das Weinglas aus der Hand,
trank den Rest aus und stand auf. Das Zimmer schwankte leicht. »Zeit, zu Bett
zu gehen. Wichtiger Tag morgen. Große Entscheidungen.« Mit dumpfem Knall
stellte er das Glas auf dem Tisch ab.
Sie
lächelte ihn an, wie wohl einst Calypso ihren Odysseus angelächelt haben
mochte, um den wackeren Helden so viele Jahre in ihrem Bann zu halten.
»Das mag
ich an Ihnen, Mr. Dashwood«, sagte sie. »Sie sind immer so anmaßend und
bestimmend. Das erspart mir die Mühe, selber zu denken.«
»Das mag
ich an Ihnen, Mrs. Dashwood«, erwiderte er. »Sie sind immer so
sarkastisch. Das erspart mir die Mühe, taktvoll und charmant zu sein.«
Sie stand
auf. Schwankend.
»Du bist
betrunken«, stellte er fest. »Wusste ich doch, dass die letzte Flasche
eine zu viel
war.«
»Ich bin
eine DeLucey«, entgegnete sie. »Ich kann ordentlich was vertragen.«
»Darüber
ließe sich streiten«, sagte er. »Lass mich dich lieber tragen.«
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