Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
vielleicht hat Blank tatsächlich einen Auftraggeber gehabt. Nicht unbedingt Eure Freundin, sondern jemand anderen.»
    «Und Ihr glaubt, daß der danach suchen und sich so verraten wird? Aber wo sollte er suchen?»
    Wieder kam Wagners großes blaues Taschentuch zum Einsatz auf seiner Stirn. «Ihr solltet in der nächsten Zeit nicht wieder alleine ins Theater gehen, Rosina. Das ist der einzige vernünftige Ort, wo er suchen könnte. Wie vernünftig, wissen wir jetzt. Es wäre am besten, wenn Ihr Madame Herrmanns’ Einladung doch noch annehmen würdet, für einige Zeit bei ihr Wohnung zu nehmen.»
    «Unsinn, Wagner, bei den Herrmanns gewöhne ich mich nur an das reiche Leben. Bei der Krögerin bin ich gut aufgehoben, und Ihr sagt ja selbst, er würde gewiß nur im Theater suchen.»
    Das walte Gott, dachte Wagner und sagte: «Aber könntet Ihr deshalb ausnahmsweise vernünftig sein und dortnicht alleine herumkriechen? Egal, ob auf der Ober-, der Unterbühne oder in den Garderoben? Gut. Und nun laßt uns endlich sehen, was sonst in dem Beutel war.»
    Im Zimmer bei der Krögerin stand Lorettas Reisekorb, darin waren nur Kleider, Mieder, Blusen, Tücher und zwei Paar Schuhe gewesen. Ein Kästchen mit allerlei Kleinigkeiten wie Bändern, Spitzentüchlein, ein paar Nadeln und Garn und ein zerfleddertes Buch mit den Werken Molières, gewiß eine Erinnerung an den alten Philippe, der sie damit Französisch gelehrt hatte. Der Inhalt des Beutels, von dem Rosina angenommen hatte, er berge Lorettas private Schätze und ganz gewiß einen Hinweis auf irgendein Geheimnis, war nicht aufregender.
    Da waren das Rollenheft, aus dem sie noch am Tag ihres Todes gelernt hatte, und einige Kämme, die Rosina so vertraut erschienen, als hätte sie sie selbst getragen. In einem schlängelte sich noch eines ihrer rotschimmernden Haare durch die Zinken. Einige gläserne Tiegel, jeder für sich in einem Leinensäckchen, bargen weiße und rosa Schminke und etliche Sorten Rouge. In einem eigenen Säckchen steckten Kohlestifte für die Brauen, falsche Falten oder beschattete Augen. Ein zerknitterter malvenfarbener Seidenschal war da noch, nicht sehr kunstvoll gestopfte weiße Handschuhe, ihr gelber Fächer, den sie so dramatisch zu bewegen wußte, ein Beutel mit trockenen Kräutern, gewiß ein Tee gegen Mattigkeit oder müde Augen. Und das Eau de Cologne von Farina, von dem Charlotte so ehrfürchtig gesprochen hatte. Das Fläschchen war nur noch halb voll, wahrscheinlich waren auch einige Tropfen des Heilwassers ausgelaufen, denn alles, was in Lorettas Beutel gewesen war, duftete würzig nach dem Kölner Wasser. Das wurde überall in Europa, am meisten aber in Frankreich verkauft, und selbst der preußische König schätztees als Arznei gegen Krankheiten jeglicher Art. Es war teuer. Irgend jemand mußte es ihr geschenkt haben.
    «Und das? Was ist das?» Wagner hielt mit zwei Fingern ein Täschchen aus weißem, besser gesagt, nicht mehr ganz weißem Kattun hoch. Er versuchte die Bänder, mit denen es verschlossen war, zu öffnen, doch seine Finger waren zu dick und ungeschickt. Rosina nahm es ihm aus den Händen, und kurz darauf waren die Knoten gelöst. Sie schüttelte den Inhalt auf den Tisch, aber wenn auch beide für einen kurzen Moment ein winziges Jagdfieber erfaßt hatte, blickten sie nun enttäuscht auf die magere Beute. Nichts als ein weiß besticktes Taschentuch aus nicht besonders feinem Batist und eine kleine silberne Münze. Die war leicht und dünn wie eine Feder, wohl gerade wert genug, ein zweites solches Taschentuch zu kaufen.
    «Mädchenandenken», sagte Wagner und stopfte Tuch und Münze unwirsch zurück in das Täschchen, verknotete die Bänder und legte es zu den anderen Sachen. Er sah noch einmal in den Beutel, hob ihn hoch und schüttelte ihn über dem Tisch aus. Aber außer ein paar dünnen eisernen Haarnadeln fiel nichts mehr heraus. Kein Brief, keine Papiere, nichts sonst.

11.   KAPITEL
    DONNERSTAG, DEN 15.   OKTOBER, ABENDS
    Anne Herrmanns tupfte verstohlen mit einem winzigen spitzenbesetzten Batisttuch ihre Schläfen und ihr Dekolleté. Der Raum erschien ihr viel zu warm, aber der Empfang der Gäste war nun, Gott sei Dank, bald vorüber, und sie würde schon eine Gelegenheit finden, Betty aus der Küche holen zu lassen und mit ihr ins Schlafzimmer hinaufzulaufen. Sie hatte gleich gemerkt, daß das Mädchen sie viel zu stark geschnürt hatte, doch Bettys Überredungskunst und ihre eigene Eitelkeit hatten gesiegt. Mit so

Weitere Kostenlose Bücher