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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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durch Menschenhand? Ich tat es doch nicht für mich.» Fast bittend drehten sich ihre Handflächen mit den gespreizten langen und kräftigen Fingern nach oben. Ihre Fingerspitzen berührten nun beinahe Rosinas Gesicht. «Nicht für mich. Für die Ehre und den Erhalt meiner Familie. Gibt es etwas Schützenswerteres?»
    «Hanna!» Und noch einmal wie ein leiser Schrei: «Hanna.»
    Sie erstarrte in ihrer Bewegung, aber sie sah sich nicht nach der Stimme um. Sie sah Rosina an und sagte ganz ruhig: «Geh weg, Hannes. Geh weg und warte in der Diele, bis ich dich rufe. Ich brauche dich gleich. Aber das hier ist meine Sache.»
    «Nein, Hanna.» Die rauhe Stimme des Kutschers klang eher weinerlich bittend als beschwörend. «Hanna. Es ist doch nun genug. Du hast es versprochen.»
    «Geh! Denk an
dein
Versprechen. Dein Leben und mein Leben, nie getrennt, und habe ich uns nicht ein gutes Leben geschaffen? Geh weg, Hannes. Es ist keine Zeit mehr.»
    «Nein, Melcher. Bleib hier. Hanna meint gar nicht, was sie sagt!» Rosina wußte kaum, was sie sprach, sie wußte nur, Melcher mußte in diesem Raum bleiben. Bei seinem Ruf hatte sich etwas im Gesicht seiner Schwester verändert. Ihre Augen waren immer noch schwarz und starr, ihr hoch aufgerichteter Körper schien immer noch größer als sonst, und ihre Lippen bebten. Aber sie war dennoch ruhiger geworden, ihre Hände hatten an entschlossener Kraftverloren und sanken herab. Jedenfalls schien es so. Wenn es irgend jemanden gab, der sie, Rosina, retten konnte, war es Melcher, der Mann, von dem sie angenommen hatte, er habe Loretta und das Mädchen in Bristol getötet.
    «Geh weg», sagte Magdalena noch einmal, und auch ihre Stimme klang nun rauh. «Geh endlich weg.»
    Da ging er. Die Tür klappte leise hinter ihm zu. «Tu’s nicht, Hanna», sagte er noch, «wir schaffen es auch anders.»
    Aber er wußte, wie seine Schwester, daß es zu spät für einen anderen Weg war.
    Hanna hatte viel zu spät begriffen, daß Rosina nicht gekommen war, um Geld zu erpressen, sondern um sie vor ihrem Bruder, den sie für den Mörder gehalten hatte, zu warnen. Aber nun hatte sie verraten, was wirklich geschehen war, sie mußte wieder töten, nur dieses eine letzte Mal. Dann würde sie endgültig in Sicherheit sein.
     
    Lukas Blank verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blinzelte träge in die matte Oktobersonne, die sich gerade durch den Hochnebel gekämpft hatte. Er war mit sich und der Welt zufrieden, sogar außerordentlich zufrieden. Gestern abend, als auf dem Weg zum Rathaus plötzlich diese schwarzen Gestalten aus dem Nichts auftauchten, hatte er zuerst gedacht, sie seien einfache Straßenräuber, zu dumm, um zu erkennen, daß sie ausgerechnet zwei Weddeknechte und deren Gefangenen überfielen. Opfer, bei denen garantiert nichts zu holen war außer einer ganzen Horde von Stadtwächtern und -soldaten , die sich auf die Jagd nach ihnen machen würden. Aber dann drängte der eine ihn in einen düsteren Gang, zischte ihm zu, er möge seine Beine bewegen, aber ein bißchen schnell, sonst bringe er ihn gleich zurück zur Fronerei, und Lukas begriff.
    Der Zettel, den er dem dreckigen Knirps durch das Fenster, nicht mehr als ein Luftloch über seinem Kopf, zugeworfen hatte, war angekommen. Er war nicht so dumm gewesen, einen Namen darauf zu schreiben, aber der Junge hatte sein Flüstern verstanden, und der versprochene Lohn war ihm Anreiz genug, die Nachricht an die richtige Adresse zu bringen. Er hatte Glück gehabt, riesengroßes Glück. Er wagte kaum daran zu denken, was geschehen wäre, wenn sie ihm bei seiner Arretierung seinen Stift und den alten Theaterzettel weggenommen hätten, wenn der Junge die Nachricht einfach weggeworfen oder zum Fron gebracht hätte, wenn er zu dumm gewesen wäre, Bellham zu finden, wenn   …
    Er seufzte, streckte sich wohlig und grinste mit geschlossenen Augen. Wenn, wenn, wenn. Der Junge war eben schlau genug gewesen, ein guter Stern oder ein großzügiger Schutzengel hatte ein Auge zugedrückt und brav seine Arbeit getan. Mit so einem Handstreich hatte er allerdings nicht gerechnet. Aber was hätte Bellham anderes tun können? Ihm vergifteten Wein schicken? Er lachte leise. So etwas kam in französischen Romanen vor. Nein, Bellham war ein kühl denkender und handelnder Mann. Er hatte es geschafft, einen Kattundrucker von einer der wichtigsten Kattunmanufakturen der Stadt zu finden, der bereit war, für ihn ein Musterbuch zu stehlen. Er hatte auch einen Weg

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