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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Aber wir haben doch einen Handel, Loretta. Gestern deine Geschichte, heute abend meine. Und jetzt habe ich noch ein paar Fragen.»
    Aber Rosina kam nicht zu ihren Fragen. In der Garderobe saß schon Mareike, Madame Hensels Garderobiere, und nähte schwarze Litzen auf ein Kleid mit besonders weit ausladenden Röcken aus silbergrauer Seide, das ihre Herrin heute abend tragen wollte. Es würde eine Komödie geben,
Das Gespenst mit der Trommel
, die Madame sehr mochte, weil sie darin zwar eine Witwe spielte, aber doch eine schöne, junge, die zudem von mehreren Herren umworben wurde und zum Schluß den besten bekam. Wie es sich in einer ordentlichen Komödie gehörte.
    «Heute abend», flüsterte Loretta. Während Rosina begann, die Kostüme für die Probe vorzubereiten, verschwand sie, um in einer der oberen Logen ungestört ihren Text zu lernen.
    Ob die Probe stattfinden würde, war ohnehin fraglich. Inzwischen war der Baumeister eingetroffen, und wenn Löwen den Weddemeister schon unfreundlich gefunden hatte, fand er den Baumeister geradezu ungehobelt.
    MITTWOCH, DEN 7.   OKTOBER, NACHMITTAGS
    Der Baumeister hatte sich redlich bemüht, aber dennoch keinen Grund gefunden, das Theater zu schließen. Die Vorstellung würde stattfinden. Rosina stand am Rande des Proszeniums neben einer der beiden hoch aufragenden Säulen, die die Bühne flankierten, und sah hinunter in den weiten Zuschauerraum. Sie liebte diese Stunde, bevor der Vorhang sich hob. Nichts kam ihr gleich, außer vielleicht das Gefühl taufrischer Liebe. Das ganze Theater schien zu vibrieren, und niemand, der daran teilhatte, konnte sich dem entziehen. Nicht nur die Schauspieler spürten das Prickeln aus Angst und Lust. Es erfaßte den Lampenputzer wie die Garderobiere, die Luftspringer und den neuen Tanzmeister wie die Billettverkäuferin, die Theatermaschinisten, die zum fünften Male prüften, ob die Windmaschine den richtigen Ton traf, den Kulissenmaler, der mit tropfendem Pinsel schnell noch die auf Leinwand gezauberte Ruine oder einen Wald ausbesserte. Sogar die Männer an der Feuerspritze, die doch gar nicht zum Theater gehörten, sondern nur zur Sicherheit und auf Befehl des Rates in den Kulissen standen, konnten sich nicht gegen das seltsame Fieber wehren.
    Nur im Orchester schien es heute nicht zu wirken. Die Senke zwischen Parkett und Bühne war noch fast leer, die Notenpulte und Hocker standen unordentlich herum. Auf einem saß ein dicker Mann   – Rosina war es noch nicht gelungen, auch nur die Hälfte der Namen all der vielen Menschen, die zu diesem Theater gehörten, zu behalten – und polierte mit einem großen Seidentuch bedächtig sein Waldhorn. Seine Perücke hatte er unter den Hocker geschoben, sie würde ihn später noch lange genug zum Schwitzen bringen. Auf einem anderen hockte ein Fagottist und prüfte das Mundstück seines Instrumentes, um es schließlich gegen ein neues auszutauschen. Das Cembalo verbarg sich noch unter einer großen Decke aus rotem Damast. Einige der Musiker hatte Rosina in der kleinen Schankstube gesehen, die am hinteren Teil des Theaters angebaut war, aber Löwen würde sie schon bald auf ihre Plätze jagen. Wie lange war es her, daß sie ihre Flöte aus dem schwarzpolierten hölzernen Kasten genommen hatte? Seit sie in Hamburg war, blieb der meistens in einem Korb unter ihrem Bett.
    Noch eine halbe Stunde, dann würde das große vordere Tor geöffnet werden und das Publikum hereinströmen, lachend und plaudernd nach den richtigen Plätzen suchen, bis das Vibrieren im Zuschauerraum genauso elektrisierend war wie die Unruhe hinter der Bühne.
    Der große Kronleuchter über dem Parkett war schon hochgezogen, seine dreißig Kerzen gaben ein schimmerndes, mildes Licht. Die matten Öllampen in den Logen und die Kerzen an den Notenpulten würden die Lichtputzer entzünden, kurz bevor das Publikum eingelassen wurde, die an der Bühnenrampe und auf den Lichttürmen in den Kulissengassen, wenn das Orchester schon mit der Anfangssymphonie begann. Alles war genau geplant, wenn einer fehlte, drohte das Chaos.
    Ein Bogen strich zart über die Saiten einer Violine, die hohen, süßen Töne klangen nicht aus dem Orchestergraben herauf, sondern aus den Kulissen. Rosina drehte sich nicht um, sie stand ganz still, atmete kaum und lauschte auf den Gesang des Instruments, ein Lied wie der Frühsommer, wie Lerchen und ein klarer, eiliger Bach. Mit einem letzten Bogenstrich, als lache die Violine spöttisch,bevor sie sich mit dem

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