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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Wind davonmachte, endete das Spiel.
    Nun drehte sie sich um, aber sie wußte schon, wer da hinter ihr in der ersten Kulissengasse stand. David Rhye, seinen Namen hatte sie gleich behalten, der neue Violinist aus dem englischen Bath.
    «Mademoiselle.» Er neigte den Kopf und lächelte auf diese Weise, die sie nie gewiß sein ließ, ob er sie verspottete oder ob er einfach eine etwas zu große Portion höfischer Sitten aus dem vornehmen Badeort mitgebracht hatte.
    «Euer Spiel ist wunderbar», sagte sie und hörte ihrer Stimme zu, als spiele sie Komödie.
    «Das liegt an meinem Instrument. Es weiß immer, ob es sich lohnt, besonders schön zu singen.»
    Rosina war froh, daß die Kerzen auf den Lichtbäumen hinter den Kulissen noch nicht brannten, es war wirklich völlig überflüssig, daß er ihr Erröten bemerkte. Obwohl es nichts Besonderes war, errötete sie nicht allzu leicht? Auch wenn sie nicht gerade dem Mann mit den schönsten, tatsächlich betörendsten Augen, in die sie je geblickt hatte, gegenüberstand? Sie wollte etwas sagen, etwas Heiteres, Spaßhaftes, so wie es Loretta immer tat, wenn ihr jemand Komplimente machte, aber ihr fiel nichts ein. Nicht ein Wort. Nur Flucht.
    «Verzeiht», murmelte sie, «ich werde in der Garderobe erwartet   …» Und war schon über die Bühne gelaufen, am Prospekt, der Kulisse, die die hintere Bühnenwand darstellte, vorbei in den Flur geschlüpft und auf dem Weg zur Garderobe.
    Sie war schnell gelaufen, jedenfalls klopfte ihr Herz, und für einen Moment blieb sie vor der Tür stehen und amtete tief. In der Garderobe der Frauen war es seltsamstill. Im
Gespenst mit der Trommel
gab es nur zwei weibliche Rollen; die Tür zur Nachbargarderobe, dem Raum der Ballerinen, war zwar weit geöffnet, aber da das Ballett heute nur zum Abschluß des Abends auftreten würde, war erst eine der Tänzerinnen im Theater.
    In der Garderobe bereiteten sich nur zwei Schauspielerinnen auf den Auftritt vor. Mademoiselle Schulz beugte sich nah zum Spiegel neben dem hinteren Fenster zum Hof. Sie bereitete ihr Gesicht auf ihre Rolle als ältliche, intrigante Haushofmeisterin vor und konzentrierte sich mit kritischem Blick auf ihr Spiegelbild. Wie eine Malerin, die auf einem gelungenen Porträt die letzten Schatten und Konturen verfeinert, ließ sie aus ihrem jungen Gesicht das einer alten Jungfer entstehen.
    Madame Hensel saß auf einem Hocker vor ihrem Spiegel nahe dem vorderen Fenster. Sie war nicht nur nach ihrer eigenen Meinung, sondern tatsächlich die schönste des Ensembles. Ihr Gesicht, von Verehrern gern als göttlich bezeichnet, glich nicht dem Ideal der Porzellanfigurinen oder der rosig-koketten Damen, die Monsieur Boucher mit so großem Erfolg in Paris malte. Madame Hensel hatte wohl weiche Züge, aber die hohen Wangenknochen, die gerade Nase und die geschwungenen Brauen gaben ihr auch etwas Kühnes. Ihr Körper war trotz der schlanken Taille genau auf die Art füllig, die Männer so schätzten, allerdings einige Zoll zu groß für eine Frau, was ihr mehr Kummer bereitete, als sie zugab. Nicht zuletzt weil Monsieur Ekhof, unbestreitbar der bedeutendste deutsche Schauspieler und in vielen Stücken ihr Partner, ein wenig gebeugt und von äußerst schmaler Statur war.
    Tief in Gedanken versunken, bemerkte sie Rosina nicht sofort und betrachtete weiter ihr Spiegelbild. Einen Moment lang sah Rosina so ein anderes Gesicht als diehochmütige Maske des Alltags oder die stets mit der Rolle wechselnden Mienen. Friederike Hensel war noch nicht geschminkt, und auch wenn sie erst im nächsten Jahr die Dreißig erreichte, begann ihre Haut schon zu welken. In den Augen lag ein dunkler Schimmer. Die große Madame Hensel, das sah Rosina ganz deutlich, hatte Angst. Loretta war nicht viele Jahre jünger, aber sie wirkte doch um ein ganzes Jahrzehnt frischer und aufreizender. Auch wenn ihre Kunst nie an die der Älteren heranreichen würde, der größere Teil des Publikums würde sie bald lauter beklatschen.
    Plötzlich verstand Rosina die so eitel erscheinende Eifersucht. Noch einige Jahre, mit viel Glück und noch mehr Schminke und Puder noch ein paar mehr, und Madame Hensel würde nur noch die Rollen der braven Mütter, weisen Königinnen oder der mürrischen Alten bekommen. Auch darunter gab es fordernde Partien, aber doch immer nur kleine, und keine stellte die Heldin eines Stückes dar. Vielleicht bereitete es besonderes Vergnügen, ein altes Weib zu spielen, wenn man unter Maske und Kostüm jung

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