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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Lippen wurden schmal, und sie nickte.
    «Seyler hat die Besten engagiert, bis auf einige dumme Fehlentscheidungen natürlich, schon das sollte Euch stolz machen. Aber gewiß, das hilft wenig, wenn Ihr es nicht zeigen könnt. Es gibt immer, in allen Stücken, mehr Rollen für Männer als für uns. Er hat einfach zu viele engagiert, weil er anderen Bühnen keine guten Akteure lassen wollte. Alle sollten hier versammelt sein und das Theater groß und berühmt machen. Manchmal denke ich, sie wollen einfach einen üppigen Schwarm blühender Weiblichkeit um sich haben, die Herren Direktoren. Und wenn es dann Streit um die Rollen gibt, sagen sie, Frauen seien eben unverträglicher als Männer.»
    Sie seufzte, und als bedauere sie diese Vertraulichkeit schon, entzog sie Rosina ihren Arm, murmelte ein flüchtiges «Danke, es ist nun gut» und wandte sich wieder ihrer Schminke zu. «Ich hoffe», fügte sie hinzu, «Mademoiselle Grelot wird heute pünktlich sein. Auch wenn sie morgen ihren großen Auftritt hat, muß sie doch heute noch die Souffleuse ersetzen. Wenn Claras Halsentzündung nicht bald geheilt ist, sollte Löwen sie nicht weiter beschäftigen. Eine Souffleuse, die ständig krächzt und von Zeit zu Zeit ihre Stimme gänzlich verliert, ist noch fatalerals eine lahme Tänzerin.» Madame hatte zu dem vertrauten harten Ton zurückgefunden.
    «Sie wird gleich kommen, ganz gewiß.» Rosina hoffte, daß sie überzeugter klang, als sie tatsächlich war. Loretta hätte längst dasein sollen, so spät wie heute war sie noch nie gewesen. Durch die Fenster drang nun kaum noch Tageslicht, und Rosina zündete alle Kerzen neben den Spiegeln an. Dabei fiel ihr Blick in den Hof, und sie sah, warum Loretta noch nicht in der Garderobe war. Die Frau im Hof war nur noch ein Schemen, aber Rosina war sich sicher, daß sie es war. Sie stand im Hof, ihr großes, dunkles Tuch fest um die Schultern geschlungen, und redete mit – ja, das mußte Lukas Blank sein. Der blaue Rock, den er stets trug, wenn er das Theater besuchte, leuchtete im Grau der Dämmerung, die alle blasseren Farben verschluckte und alle Konturen trügerisch machte. Und wieder beobachtete Rosina etwas, was sie nichts anging, was sie vielleicht auch nicht sehen sollte. Alle wußten, daß Lukas brennend in Loretta verliebt war und ihre Capricen ertrug wie ein gutmütiger Hund. Nun ergriff er ihre Hand, versuchte gar, sie zu umarmen, aber Loretta machte sich frei. Sie stieß ihn nicht zurück, das nicht, aber die Bewegungen ihrer Hände zeigten deutlich, daß sie eine Umarmung nicht dulden würde.
    Armer Lukas. Gewiß glaubte jeder von Lorettas Verehrern, erfolgreicher als der vorherige zu sein. Aber Loretta spielte nur gern, sie ließ sich von keinem besitzen.
    Rosina wandte sich energisch ab. Vielleicht machte sie ihm auch etwas anderes klar, es ging sie nichts an. Und wahrscheinlich würde Loretta ihr heute abend ganz von selbst und mit großem Vergnügen erzählen, welche Turbulenzen es mit dem Kattundrucker gegeben hatte. Ohne diese kleinen Abenteuer hätte Loretta sich zu Tode gelangweilt.
    Da hörte sie schon den leichten, schnellen Schritt auf der Treppe, und ehe sie noch die Vorhänge zugezogen hatte, stand Loretta, ihr Schultertuch zu einem unordentlichen Knäuel gerafft, in der Garderobe. Sie brachte einen ganzen Schwall der frischen, schon nachtkühlen Luft aus dem Hof mit herauf, rief:
«Bonsoir, mes amies»
, obwohl außer Rosina keine Freundin im Raum war, und: «Wie wunderbar! Monsieur Seyler weiß für einen kleinen Streit groß zu trösten.»
    Wenn man bedachte, daß der kleine Streit eher eine Schlägerei gewesen war, bei der Loretta eine Hauptrolle gespielt hatte, war ihre Unbefangenheit mehr als erstaunlich. Vielleicht hatte sie doch etwas mit ihrer größten Konkurrentin gemeinsam.
    Tatsächlich stand auf Madame Hensels Schminktisch ein wunderbarer Strauß später weißer Rosen. Die warf nur einen kurzen, hochmütigen Blick auf das Bukett, berührte eine der schweren Blüten mit der Spitze ihres schwarzen Stiftes und konzentrierte sich wieder auf die Konturen ihrer Augenbrauen.
    Sie würde sich eher eines dieser überflüssigen Schönheitspflästerchen mitten auf die Nase kleben, als ausgerechnet Mademoiselle Grelot mit ihrem fragwürdigen Akzent wissen zu lassen, daß diese Blumen nicht von Monsieur Seyler, sondern von Monsieur Lessing waren. Seyler zeigte sich immer mit Worten, selten mit Taten galant, so wie er erst heute morgen wieder beteuert hatte,

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