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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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genug für die jugendliche Liebhaberin war. Aber dem Publikum galt nur die strahlende junge Heldin, alle anderen waren Beiwerk, über das man sich lustig machen durfte.
    Wenn eine von einer solchen Höhe stürzen konnte wie Madame Hensel, das erkannte Rosina in diesem kurzen Augenblick, mußte die Angst um so größer sein. Es ging ja nicht nur um den Verlust des Publikums und des Applauses. Es ging auch um Hunger und Not, die größte Demütigung, die einen Menschen treffen konnte und die die meisten Schauspieler und noch mehr Schauspielerinnen in ihren späten Jahren einholte.
    Madame Hensel trug nur ihre weißen Unterkleider, Rosinasah einen großen rötlich-blauen Fleck auf ihrem rechten Oberarm und einen zweiten auf der Schulter. In diesem Augenblick entdeckte sie Rosina hinter sich im Spiegel, und ihr Gesicht wurde schlagartig wieder zur schönen Maske. Hastig griff sie zu einem Tiegel, zog den Glasstopfen heraus und begann mit konzentrierten, ruhigen Bewegungen, helle Schminke auf ihrem Gesicht zu verteilen. Rosina war fasziniert von dem raschen Wechsel des Ausdrucks und fühlte sich zugleich schuldig, als habe sie eine versteckte Schatulle geöffnet und ein Geheimnis entdeckt.
    «Ich bin gestolpert», sagte Madame Hensel, «irgend jemand hat wohl etwas von dem Fett zum Abschminken auf den Boden fallen lassen.»
    Sie hätte niemals zugegeben, daß die blauen Flecken ein Resultat ihrer unverzeihlichen Unbeherrschtheit waren, die sie dazu hingerissen hatte, ihren Schirm gegen diese intrigante kleine Kokotte zu erheben. Sie besah sich die Verfärbungen ihres oberen Armes und bewegte ihn vorsichtig. «Ich habe Glück gehabt, es ist nur eine kleine schmerzende Stelle.»
    «Wenn Ihr mögt, kann ich Euren Arm mit der Ringelblumensalbe einreiben, die die Tänzerinnen benutzen, wenn ihre Gelenke schmerzen oder wenn eine bei den Proben gestürzt ist.»
    Madame Hensel runzelte die Stirn und sah Rosina im Spiegel an, als mißtraue sie der Freundlichkeit des Angebots. Aber dann entspannte sich ihr Gesicht, und sie nickte.
    «Ja. Das wäre sicher gut. Der Arm ist doch ein wenig steif, das wird mein Spiel behindern. Mareike wollte es tun, aber ich habe sie noch einmal zu der Handschuhmacherin am Schaarmarkt geschickt. Diese da», sie zeigtemit einer Kopfbewegung auf ein paar fliederfarbene Handschuhe auf ihrem Schminktisch, «sind viel zu grell für das graue Kostüm. Ja, wenn Ihr so freundlich sein wollt?»
    Rosina holte den Tiegel aus der Garderobe des Balletts und begann sanft die fettige Salbe auf die verfärbte Haut zu streichen. Madame Hensel beobachtete sie im Spiegel, als sähe sie sie zum erstenmal. Ein hübsches Gesicht, nicht zu süß und nicht zu herb, trotz der schmalen Narbe, die über ihre linke Wange bis zum Kinn lief. Ihr Haar war beneidenswert, von einem warmen Honigton und dick genug, ihr den Ärger mit den ewig verrutschenden falschen Haarteilen zu ersparen.
    Als Seyler auch diese junge Komödiantin von wer weiß woher an das Theater geholt hatte, war Madame Hensel mehr als verstimmt gewesen. Und nicht er, sondern Mareike hatte ihr zugeflüstert, daß Rosina zwar von einer unbedeutenden Gesellschaft komme, aber die besten Beziehungen zu einigen wichtigen Familien in der Stadt habe. Was seltsam sei bei einer Komödiantin, und man könne sich ja denken, welcher Art die Ursache dieser Beziehungen sei. Sie hatte gleich genickt, mit strengem Blick, aber jetzt dachte sie, daß sie vielleicht ein wenig schnell geurteilt hatte. Wohl waren stille Wasser tief, aber Rosina war ihr von Anfang an eher spröde als aufreizend erschienen, und auch wenn es hieß, sie verbringe ihre Sonntage im Gartenhaus der Familie Herrmanns, sprach sie selbst nie darüber. Dennoch, sie konnte nicht verstehen, warum eine unbedeutende Komödiantin diesen Vorzug genoß, während ihr selbst die Türen der großen Häuser verschlossen blieben. Und plötzlich spürte Madame Hensel, die sich nur selten für die Geschichte anderer interessierte, Neugier. Es war ein erstaunlich anregendes Gefühl.
    «Wie lange seid Ihr jetzt bei uns, Rosina?»
    «Fast vier Wochen.»
    «Gefällt es Euch?»
    «Es ist ein gutes Theater   …»
    «…   aber Ihr habt es Euch anders vorgestellt?»
    Rosina lächelte. «Ganz anders. Ich hatte nicht gedacht, daß ich so lange nicht auf der Bühne stehen würde. Ich war gewohnt, alle Tage auf der Bühne zu stehen, selbst wenn ich Fieber hatte. Bei uns gab es immer zu viele Rollen für zu wenige Komödianten.»
    Madames

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