Lorettas letzter Vorhang
ich ein Bündel, gerade so schwer, daß ich es tragen konnte. Du kannst mir glauben, es war die schwerste Entscheidung meines Lebens, all die Fächer, Schuhe und Spitzen und bis auf eines auch die schönen Kleider zurückzulassen, nur um einige baumwollene Röcke und Mieder einzupacken, die für meine Pläne nützlicher waren.»
«Das war tapfer von dir», murmelte Rosina schläfrig. «Du warst doch fremd dort. Wohin wolltest du gehen? Und gewiß hattest du kein Geld.»
«Ich wollte nach Paris. Zum Theater. Als ich noch Asche kratzte und Töpfe scheuerte, schickten sie mich manchmal auf den Markt, wenn die Köchin etwas vergessen hatte. An einem Tag, es war Frühsommer, ich weiß es noch genau, die Luft war wie Samt, und alle Menschen schienen vergnügt zu sein, waren Komödianten auf dem Markt. Ich traf zwei Freundinnen, und gemeinsam waren wir mutig genug, unsere Aufträge für eine Stunde zu vergessen, und krochen durch die Menge, die sich schon vor der hölzernen Bühne drängte. Ich muß nicht erzählen, wie wunderbar sie mir in ihren bunten Kleidern und seltsamen Gesten erschienen. Sie machten auch Musik mit einer Flöte und einer Violine, und einer von ihnen, ein Starker Mann, der stemmte ein altes Kanonenrohr, auf dem saß noch eine dicke Frau und sang. Sie sang scheußlich, aber es war ein ungeheures Spektakel und für uns so wunderbar wie nichts, was wir je gesehen hatten. Seither träumten wir nicht mehr, ein schöner, reicher Mann werde uns aus unseren Küchen holen, seither träumten wir vom Leben auf einer solchen Bühne. Und natürlich vom Applaus. Als mir später der alte Philippe von Theatern in Paris erzählte, geöffnet für alle Bürger und doch groß und schön wie ein königlicher Tanzsaal, stand mein Ziel fest. Ich war auch gut vorbereitet, meine Lehrbücher für das Französische waren Schauspiele von Molière und anderen Dichtern. Philippe kannte seinen Herrn. Vielleicht wollte er mir mit dem, was ich dumme Gans für meine Vorbereitung auf die feine Gesellschaft hielt, von Anfang an einen Weg zeigen, meinen Lebensunterhalt an einem anderen Ort als in einem Bordell zu verdienen. Er gab mir auch ein wenig Geld, Gott segne ihn. Er ertappte mich, als ich mein Bündel packte, und hielt mich nicht auf, was ihm gewiß großen Ärger mit seinem Herrn eingebracht hat.»
Am nächsten Morgen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, hatte sie sich durch den dichten Park davongeschlichen. Sie hatte Angst, fast mehr vor der Dunkelheit und den Tieren als vor der Fremde, vor dem Abenteuer, in das sie sich begab. Und zugleich zitterte sie, weil die Lust der Freiheit, das eigene Leben zu beginnen, Träumen nicht mehr nachzujagen, sondern sie endlich einzuholen, noch größer war als die Angst.
«Ich beschloß, nun nicht mehr Lore Gürlich zu sein, sondern Loretta Grelot. Ich machte den Kosenamen, den er mir gegeben hatte, weil mein Lachen in seinen Ohren wie ein munteres Glöckchen klang, zu meinem Namen. Später», sagte sie nach einer kleinen Atempause, «als das Geld verbraucht und ich weit genug weg von Straßburg war, habe ich die Sachen verkauft. Zuerst für einen Paß, dann für das, was ich zum Leben brauchte.»
Sie sprach nicht weiter. Sie sah wieder auf ihre Hände und wartete auf Rosinas Frage.
Aber Rosina fragte nicht, dazu war sie viel zu müde. Sie war schon fast eingeschlafen, als Loretta erzählte, daß sie außer ein paar praktischen Kleidern und einem schönen auch die silbernen Leuchter aus ihrem Schlafzimmer, ein Halsband aus Perlen und Amethysten, ein Armband und zwei goldene Ringe mit Steinen, deren Namen sie nicht kannte, die aber gutes Geld brachten, und eine Tabatière aus hauchfeinem chinesischem Porzellan mitgenommen hatte. Ein kleiner Lohn für fast zwei Jahre Liebesdienst, fand Loretta, aber sie wußte, daß ihr Geliebter anderer Meinung sein würde. Denn sie hatte in dieser Zeit auch gelernt, daß reiche Männer ganz anders dachten als arme Mädchen.
In dieser Nacht kehrte der Sturm noch einmal nach Hamburg zurück. Gegen Morgen, wenn der Wind sich doch gewöhnlich zur Ruhe begibt, begann er an Dächern und Türen zu rütteln, er pfiff durch die engen Straßen und heulte in den Höfen. Er kräuselte das Wasser auf den Flüssen und Fleeten, trieb es mit der auflaufenden Flut an niedrigen Stellen über die Ufer und in die Keller. Als hinter St. Georg der Himmel hell wurde, erwachte Rosina. Das Hoftor, dachte sie, das Hoftor ist zugeschlagen. Aber bevor sie darüber nachdenken
Weitere Kostenlose Bücher