Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
dafür zu sorgen, daß ihre Stellung als Erste an diesem Haus unantastbar bleiben werde. Worte! Sie brauchte Taten! Daß nun ausgerechnet der Kritiker, den sie für ihren Feind hielt, diese Rosen schickte und auf einer Karte mit schwungvoller Schrift sein Bedauern über den erlittenen Schrecken kundtat – damit hatte sie niemals gerechnet.Immerhin waren sie und ihr Schirm schuld an dem Schrecken gewesen. Vielleicht, dachte sie, war Lessing doch nicht der Banause, für den sie ihn hielt, sondern ein Mensch, der endlich erkannte, was man ihrer empfindsamen Seele hier antat. Und vielleicht war sie auch ein wenig zu streng gewesen, als sie erzwang, daß er in seinem Journal, dieser gewiß verdienstvollen, aber nicht gerade erfolgreichen «Hamburgischen Dramaturgie», nur noch die Stücke, aber nicht mehr die Schauspieler und vor allem die Schauspielerinnen kritisieren durfte.
    Die Garderoben füllten sich nun. Mareike brachte die richtigen, mattschwarzen Handschuhe, Charlotte und Dorothea, zwei junge, noch kindliche Schauspielerinnen mit ersten Rollen, die mit ihren Eltern zum Ensemble gehörten und wie Loretta und Rosina oft in den Kulissen standen, um zu beobachten und zu lernen, hockten sich auf die Körbe und beobachteten die Schminkkunst der Älteren. Aus der Garderobe der Ballerinen klang vielstimmiges Gelächter, und als eine zu singen begann, forderte Madame Hensel energisch, man möge die Tür schließen; sie liebe Gesang, aber nicht so kurz vor einem Auftritt.
    Bald würde das Orchester mit der Anfangsmusik beginnen und der Lärm der Stimmen auch in der Garderobe zum hektischen Geflüster werden. Aber noch war er ungehemmt, war selbst eine Symphonie, mal summend, mal ein Crescendo, übertönt von den gelachten Trillern, von spitzen Schreien, wenn ein Mieder zu eng, eine Nadel im Kopfputz zu spitz war. Und Rosina, nur eine Randfigur in diesen fiebrigen Minuten vor der Aufführung, schlich sich leise davon. Sie wurde heute nicht gebraucht, so schlüpfte sie hinter den Seitenkulissen bis zu einer der Säulen am Bühnenrand, schob den Vorhang ein klein wenig beiseite und blinzelte in den Zuschauerraum.
    Das Theater war heute voll wie schon lange nicht mehr. Zu ihren Füßen, zwei Meter tief im Orchestergraben, waren jetzt alle Hocker besetzt, und das seltsam schräge Durcheinander der Instrumente, die nun gestimmt wurden, übertönte kaum den Lärm der Zuschauer, die mit Gelächter und Schimpfen, mit grüßenden Rufen und lautem Plaudern Plätze und Freunde suchten. Auf der Galerie ganz oben unterm Dach herrschte schon großes Gedränge, Kopf an Kopf säumte die Brüstung, und Rosina sah zwischen den Männerköpfen sogar einige Hauben. Dort oben trafen sich zwischen den Domestiken und Gesellen, Krämern, Boten, Hilfsschreibern und den wenigen, meist etwas zu stark gepuderten und bemalten Damen auch die ärmlicheren unter den Gelehrten und Künstlern. Im Parkett standen nur Männer, manche fein geputzt, andere in den schlichteren Röcken der Handwerksmeister. Die Senatsloge direkt gegenüber der Bühne war leer, natürlich, das war sie meistens.
    «Im Parkett», sagte eine leise Stimme hinter ihr, «herrscht doch die wahre Demokratie.»
    Lessing, wie stets im eleganten, aber doch schlichten grauen Rock, das volle eigene Haar frisch gepudert, die Augen hellwach und nun ein bißchen amüsiert, blickte über ihre Schulter durch den Vorhangspalt.
    «Beinahe.» Rosina sah in die Menge und war nicht seiner Meinung. «Die dabei stören könnten, drängen sich auf der stickigen Galerie. Und, mit Verlaub, gehören zur Demokratie keine Frauen? Oder gar Damen?»
    Lessing lachte leise. «Gut pariert. Aber bei den alten Griechen, die diese Utopie erdacht haben, spielten Frauen, auch Damen, keine Rolle. Ihr seid Eurer Zeit voraus, Mademoiselle. Doch immerhin sitzen in den Logen doch schon Damen. Wartet ab, in einigen Jahren, es wirdnicht mehr lange dauern, werdet Ihr sie auf allen Plätzen sehen. Sogar Pastoren und Juden wird dann der Theaterbesuch auch in dieser Stadt nicht mehr verboten sein. Wenn sie heute auch aus ganz verschiedenen Gründen vor der Tür bleiben müssen», fügte er hinzu, und in seinen Augen blitzte es belustigt. «Im Parkett, auf den Rängen, auf der Galerie und natürlich auch noch in den Logen. Aber irre ich mich, oder ist das Theater heute so gut besetzt wie schon lange nicht mehr?» Er beugte den Kopf weiter vor, um auch die Seitenlogen zu überblicken. «Wirklich außerordentlich gut besucht.

Weitere Kostenlose Bücher